In Gutachten zur Berufsunfähigkeitsversicherung oder privaten Unfallversicherung finden sich häufig Aussagen zu Aggravation, Simulation oder Beschwerdeverdeutlichung. Insbesondere bei Berufsunfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankungen oder im Zusammenhang mit Schmerzsyndromen sind derartige Ausführungen häufig.

Was bedeuten Aggravation, Simulation und Beschwerdeverdeutlichung?

Für den Versicherungsnehmer sind Vorwürfe von Aggravation, Simulation oder Beschwerdeverdeutlichung in jedem Fall undeutlich. Aber was bedeuten diese Fachbegriffe?

Unter Aggravation versteht man die übertriebene Darstellung der Schwere der eigenen Erkrankung oder von Symptomen durch einen Patienten. Das Gegenteil wird als Dissimulation oder Bagatellisierung bezeichnet.

Abzugrenzen ist hiervon eine Simulation, in der vom Patienten bewusst Erkrankungen, Symptome oder Beschwerden vorgetäuscht werden.

Daneben spricht man von Beschwerdeverdeutlichung, wenn ein Patient den Gutachter vom Vorliegen von Symptomen und Beschwerden zu überzeugen versucht. Dies geschieht häufig unbewusst.

Die Begriffe sind nicht immer klar abzugrenzen. So können Aggravation, Simulation und Beschwerdeverdeutlichung isoliert oder auch nebeneinander auftreten.

Begutachtung und Aggravationstendenzen

Insbesondere bei der Feststellung der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankungen wird ein psychiatrischer Gutachter regelmäßig unterschiedliche wissenschaftliche Testverfahren heranziehen, um beim Versicherten Aggravationstendenzen zu untersuchen.

Auffälligkeiten können sich beispielweise ergeben, wenn die zu testende Person an Aufgaben scheitert, die selbst Schwerstkranke bewältigen können. Auffällig sind ebenfalls inkonsistente Testergebnisse bei mehreren vergleichbaren Tests oder starke Diskrepanzen zwischen der im Beruf behaupteten Leistungsfähigkeit und den Testergebnissen. Selbst wenn leichte Tendenzen vorliegen, können die Konsequenzen für den Versicherungsnehmer schwerwiegend sein.

Was passiert bei Aggravation oder Simulation durch den Versicherungsnehmer?

Versicherer verweigern oftmals schon bei geringen Anzeichen von Aggravation oder Simulation die Leistung aus der Berufsunfähigkeitsversicherung. Teilweise lassen sich Diskrepanzen durch einen erfahrenen Rechtsanwalt für Berufsunfähigkeit oder private Unfallversicherung außergerichtlich ausräumen. Nicht selten münden die Angelegenheiten allerdings in gerichtliche Verfahren.

Notwendigkeit gutachterlicher Feststellungen

Die Rechtsprechung nimmt einerseits an, dass ein Gutachten ohne Äußerungen zu Aggravations- oder Simulationstendenzen als unvollständig anzusehen ist (OLG Celle, Urteil v. 15.06.2022, Az. 14 U 148/21). Hieraus kann sich die durchaus negative Konsequenz ergeben, dass ein für den Versicherungsnehmer positives Gutachten in Gänze unbrauchbar wird und die Begutachtung vollständig wiederholt werden muss.

Allerdings haben Gerichte auch schon geurteilt, dass durch nachträgliche Beschwerdevalidierungstests im Rahmen eines Ergänzungsgutachtens die Abwesenheit von Aggravations- oder Simulationstendenzen bestätigt werden können (OLG Frankfurt am Main, Urt. vom 18.01.2023, Az. 3 U 87/22).

Folgen bei Aggravation oder Simulation

Das Vorliegen der Voraussetzungen der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit muss vom Versicherungsnehmer bewiesen werden. Gelingt dem Versicherungsnehmer der Beweis nicht, kann er keine Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung beanspruchen.

Festgestellte oder vermutete Aggravations- oder Simulationstendenzen gehen zu Lasten des Versicherungsnehmers und er muss beweisen, dass solche Tendenzen nicht vorliegen (OLG Saarbrücken, Urteil vom 12.08.2015, Az. 5 U 53/13). Im dem zitierten Urteil ging es um den typischen Fall von Antriebslosigkeit, Entscheidungsunfähigkeit, Unkonzentriertheit und hoher Fehlerquote aufgrund einer depressiven Erkrankung. Im Rahmen einer zweitägigen Begutachtung zeigten sich Hinweise auf eine Aggravation. Das Gericht hatte im Ergebnis Zweifel am Vortrag des Versicherungsnehmers und stellte fest, dass dieser beweisfällig geblieben ist.

Eine besonders schwerwiegende Folge ist eine fristlose Kündigung des Versicherungsvertrags aus wichtigem Grund, wenn ein Versicherungsnehmer Ursachen und Umfang von Gesundheitsschäden vorgetäuscht hat (OLG Saarbrücken, Urteil v. 06.02.2013, Az. 5 U 106/10). In der Begutachtung des Klägers ergab sich, dass der Kläger mit dem geschilderten orthopädischen Beschwerdebild unvereinbare Freizeitaktivitäten entwickelt und psychische Beschwerden in der Untersuchung gezielt aggraviert hatte. Das Gericht sah hierin einen wichtigen Grund, der den Versicherer zu einer fristlosen Kündigung berechtigte.

Aggravation und private Unfallversicherung

Aggravationstendenzen können ebenfalls dazu führen, dass eine private Unfallversicherung nicht zahlen muss. So hat das OLG Stuttgart die Berufung eines Versicherungsnehmers mit der Begründung zurückgewiesen, aufgrund von Aggravationstendenzen sei „eine objektive Einschätzung der körperlich oder geistig bedingten Einschränkung der Leistungsfähigkeit wegen der tatsächlich vorliegenden frontalen Hirnschädigung sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich“ (OLG Stuttgart, Urteil vom 14.01.2010 – 7 U 120/09).

Dem erteilte der Bundesgerichtshof jedoch eine Absage. So hatte der Sachverständige ausgeführt, „dass die Wesensveränderung mit ihren Folgen einen erheblicheren Umfang besitze, und eine subtilere Einschätzung ‚im Rahmen einer umfassenden Längsschnittbeobachtung über einige Wochen hinweg im Rahmen eines stationären psychiatrischen Settings‘ möglich sei.“ Dem müsse das Gericht nachgehen (BGH, Beschluss vom 13.04.2011 – IV ZR 36/10).

Tipps für die Praxis

Es bleibt dabei, dass wahrheitsgemäße Angaben gegenüber dem Versicherer und ärztlichen Gutachtern essenziell bei der Durchsetzung von Ansprüchen in der Berufsunfähigkeitsversicherung und Unfallversicherung bleiben.

Symptome und Beschwerden sollten von Versicherten bei der Beantragung von Leistungen und der Begutachtung realitätsnah und wahrheitsgemäß geschildert. Übertreibungen und Ausschmückungen der Erkrankung sollten unterbleiben. Die begutachtenden Ärzte sind Fachleute auf ihrem Gebiet und werden unrealistische Beschreibungen eines Krankheitsbilds zum Anlass nehmen, Aggravations- oder Simulationstendenzen festzustellen.

Sollten Sie in Ihrem Gutachten dennoch Anmerkungen zu Aggravation, Simulation oder Beschwerdeverdeutlichung finden, sollten Sie einen spezialisierten Fachanwalt für Versicherungsrecht zu Rate ziehen. Neben der Leistungsfreiheit des Versicherers ist im Einzelfall sogar eine Kündigung des Vertrags möglich.  

Stephan Schneider

Fachanwalt für Versicherungsrecht