Es ist nicht selten, dass BU-Versicherer ein Gutachten über die Berufsunfähigkeit des / der Versicherten in Auftrag geben, der Gutachter die BU bejaht und der Versicherer trotzdem anschließend ablehnt. Hintergrund ist, dass Versicherer aufgrund von Erfahrungswerten auf eine abweichende Bewertung durch einen gerichtlich bestellten Gutachter spekulieren. Ein solcher Fall ist nunmehr zum OLG Nürnberg gelangt, welches dem Versicherer Recht gab.

(OLG Nürnberg, Beschluss v. 22.08.2023 – 8 U 344/23)

Kurz zum Sachverhalt

Der Kläger litt seit 2013/2014 unter Beschwerden im rechten Handgelenk. Im Januar 2014 war „wegen einer diagnostizierten Discusperforation bei degenerativer Veränderung des rechten Handgelenks und einer Tendovaginitis de Quervain rechts eine ambulante Handgelenksarthroskopie mit Debridement im Discusbereich (Rissumwandlung) sowie eine Spaltung des ersten Strecksehnenfaches durchgeführt worden.“

Im Wesentlichen hatte der Kläger vorgetragen, seit Dezember 2016 unter langanhaltenden Schmerzen im rechten Handgelenk zu leiden. Spätestens seit Februar 2017 sei er nicht mehr in der Lage, seinen Beruf als Servicetechniker im Rahmen des betrieblichen Praktikums auszuüben.

Klage Nr. 1: Anfechtung und Rücktritt rechtswidrig

Am 26.02.2017 beantragte der Kläger Leistungen aus der mit der beklagten Versicherung abgeschlossenen Berufsunfähigkeitsversicherung. Der Versicherer trat in die Prüfung ein und erklärte am 08.03.2017 den Rücktritt sowie die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung aufgrund einer angeblichen vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung.

Der Versicherte klagte zunächst gegen die Vertragsbeendung und obsiegte. Mit Urteil vom 03.08.2018 stellte das Landgericht Nürnberg fest, dass der Rücktritt und die Anfechtung unwirksam waren und der Vertrag zu den ursprünglichen Bedingungen fortbesteht.

Versicherer lehnt trotz Gutachten ab

Der Versicherer beauftragte daraufhin den Prof. Dr. H. vom Universitätsklinikum Erlangen mit der Erstellung eines medizinischen Gutachtens über die Berufsunfähigkeit des Klägers. Im Gutachten vom 01.07.2019 stellte Prof. Dr. H. die Berufsunfähigkeit des Versicherten fest.

Im in Auftrag gegebenen Zusatzgutachten führte Prof. Dr. H. auf die Frage „Welche Zukunftsprognose stellt sich?“ aus:

„Auch hierzu hatten wir bereits im letzten Gutachten Stellung bezogen. In Zusammenschau der vorliegenden Befunde und der EFL-Testung sind die Kriterien für das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit weiterhin formal erfüllt, da der Versicherte infolge von Krankheit und Kräfteverfall seit mehr als 6 Monaten zu mindestens 50% außerstand war, seinen zuletzt ausgeübten Beruf (Servicetechniker im Innendienst), so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, auszuüben.“

Mit Schreiben vom 15.05.2020 lehnte der beklagte Versicherer die Leistungspflicht entgegen dem Votum des Prof. Dr. H. ab. Nachdem das außergerichtliche Bemühen des Rechtsanwalts des Versicherten erfolglos blieb, erhob der Versicherte erneut Klage beim Landgericht Nürnberg.

LG Nürnberg: Abweisung der zweiten Klage

Der Versicherte klagte erneut und stützte sich maßgeblich auf das Gutachten des Prof. Dr. H. Die Beklagte behauptete hingegen, „dass weder die von ihr eingeholten Gutachten von Prof. Dr. H. noch die EFL-Testung eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit des Klägers ergeben hätten. Eindeutige Aussagen hätten nicht getroffen, sondern lediglich subjektive Angaben des Klägers verwertet werden können“.

Das Landgericht ordnete ein Sachverständigengutachten an. Der Sachverständige Prof. Dr. K. verneinte in seinem Gutachten die Berufsunfähigkeit. Das Landgericht wies die Klage des Versicherten ab.

Die Entscheidung des OLG

Der Kläger legte daraufhin Berufung ein und argumentierte im Wesentlichen, dass der beklagte Berufsunfähigkeitsversicherer an die Entscheidung des Sachverständigen gebunden sei. Die Beklagte hätte aufgrund der im eigenen Auftrag erstatten Gutachtens ein Anerkenntnis abgeben müssen. Da dies nicht erfolgt sei, habe die Beklagte ihre Pflicht aus § 173 Abs. 1 VVG und dem Versicherungsvertrag verletzt und das Anerkenntnis müsse fingiert werden.

Das OLG schloss sich dieser Rechtsansicht nicht an. Der Versicherer sei mit der Ablehnung seiner Erklärungspflicht nachgekommen. Dem Kläger waren die Gründe der Ablehnung auf vier Druckseiten ausführlich erläutert worden.

„Damit ist im Streitfall kein Raum für die Fiktion eines Leistungsanerkenntnisses. Denn einer solchen Rechtsfigur bedarf es nur, wenn gerade keine Erklärung des Versicherers über seine Leistungspflicht abgegeben wird und der Versicherungsnehmer den Eindruck haben kann, es werde von Versichererseite auf Zeit gespielt.“

Es sei weder gesetzlich noch vertraglich bestimmt, dass der Versicherer sich an ein von ihn in Auftrag gegebenes Privatgutachten halten müsse.

Anmerkung von Rechtsanwalt Stephan Schneider

Der Versicherte erlitt in dem beschriebenen Fall eine wahre Odyssee , um am Ende dennoch zu unterliegen.

Der Versicherer hatte zuerst Anfechtung und Rücktritt erklärt, womit er vor Gericht unterlag. Anschließend bejahte der eigene Gutachter des Versicherers die Berufsunfähigkeit und der Versicherer lehnte trotzdem ab. Zu guter Letzt musste sich der Versicherte durch zwei Instanzen klagen, wo er aufgrund einer abweichenden Meinung des gerichtlichen Sachverständigen dennoch unterlag.

Leider ergibt sich die hier geschilderte Konstellation aus unserer Erfahrung relativ häufig. Der Berufsunfähigkeitsversicherer gibt ein Gutachten in Auftrag und folgt dem eigenen Gutachter nicht.  Das OLG Nürnberg hat in seinem Beschluss dieser Verfahrensweise erneut als rechtmäßig angesehen. Eine Fingierung des Anerkenntnisses komme nur in Betracht, wenn der Versicherer die BU-Regulierung verzögert.

Die genaue Lektüre der Entscheidungsgründe lässt Schlüsse auf die Art und Weise von Antragstellung und Leistungsprüfung zu. Nicht selten werden Gutachteraufträge durch die Versicherer schwammig formuliert und der Versicherungsnehmer wird nicht dazu angehalten, ein detailliertes Berufsbild und eine Tätigkeitsbeschreibung vorzulegen. In der Folge sind auch Gutachten oftmals angreifbar. Sollte der Gutachter die Berufsunfähigkeit ablehnen, wird der Versicherer dem folgen. Aber auch wenn der Gutachter die Berufsunfähigkeit als gegeben ansieht, kann der Versicherer leicht gegen das Gutachten argumentieren.

Versicherer verfügen über umfangreiche Erfahrungserfahrungswerte zu allen denkbaren Erkrankungen und können leicht abschätzen, wie hoch das wirtschaftliche Risiko einer Ablehnung ist. Versicherte werden somit oftmals in den Prozess getrieben.

Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte seinen BU-Antrag somit gleich von einem spezialisierten Rechtsanwalt für Berufsunfähigkeitsversicherung stellen lassen. Folgenschwere Fehler bei der Antragstellung können somit vermieden werden.

Link: Weitere Informationen zur Antragstellung in der Berufsunfähigkeitsversicherung.

Sie können uns in der Berufsunfähigkeitsversicherung jederzeit für eine kostenlose Erstberatung kontaktieren.

OLG Nürnberg: Berufsunfähigkeitsversicherer ist nicht an eigenes Gutachten gebunden