Die Beendigung eines Vertrags über eine Berufsunfähigkeitsversicherung durch Anfechtung oder Rücktritt sind ein Dauerbrenner. Bei eher harmlosen Umständen greifen Versicherer teilweise zum Instrument der Vertragsanpassung nach § 19 Absatz 4 Satz 2 VVG, um keine BU-Rente zahlen zu müssen. Im nachfolgenden Fall hatte die Versicherungsnehmerin ein „Lampenfieber“ nicht angegeben. Der Versicherer versuchte erfolglos einen Ausschluss für psychische Erkrankungen in der Berufsunfähigkeitsversicherung durchzusetzen.
zum Sachverhalt
Die klagende Versicherungsnehmerin schloss im Jahr 2013 einen Vertrag über eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Die üblichen Gesundheitsfragen wurden von der Klägerin verneint.
Am 20.02.2016 stellte die Klägerin einen Antrag auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit. Der Versicherer nahm Ermittlungen auf und fand heraus, dass die Klägerin zwischen Juni und September 2008 von ihrer Hausärztin an einen Psychotherapeuten überwiesen wurde. Grund für die Überweisung war ein Lampenfieber. Es fanden fünf probatorischen Sitzungen statt, in denen der Psychotherapeut feststellte, dass die Behandlung des Lampenfiebers nicht erforderlich sei.
Das Landgericht hatte ein Gutachten eingeholt und den Anspruch der Klägerin auf die BU-Rente aufgrund posttraumatischer Belastungsstörungen bejaht. Dem Anpassungsrecht des Versicherers wurde vom Oberlandesgericht Dresden eine Absage erteilt.
OLG Dresden, Urteil vom 06.12.2022, Az. 4 U 1215/22
zur Entscheidung des Gerichts
Das OLG Dresden wies die Berufung des Versicherers zurück. Es fehlt an einem Anpassungsgrund nach § 19 Abs. 2 VVG.
„Als Krankheit im Sinne der Berufsunfähigkeitsversicherung kommt jedoch nur ein Zustand in Betracht, der vom normalen Gesundheitszustand so stark und so nachhaltig abweicht, dass er geeignet ist, die berufliche Leistungsfähigkeit oder die berufliche Einsatzmöglichkeit dauerhaft zu beeinträchtigen.“ Ein alltagstypisches „Lampenfieber“ zählt hierzu nicht, da es noch keine „Beschwerde“ der Psyche darstellt. Zwar dürfe der Versicherer auch Beeinträchtigung abfragen, die noch keinen Krankheitswert haben, jedoch findet dies seine Grenzen, an dem Beeinträchtigungen offenkundig belanglos sind oder alsbald wieder vergehen.
Als „Behandlung der Psyche“ hätte allerdings die Überweisung der Hausärztin angesehen werden können. In den Gesundheitsfragen war aber nicht von Untersuchungen der Psyche gefragt worden und eine Behandlung ist hiervon abzugrenzen. In den fünf Sitzungen des Psychotherapeuten könnten ebenfalls als „Abklärungsuntersuchung“ angesehen werden.
Der Senat wies darauf hin, dass die Falschbeantwortung der Fragen durchaus als grob fahrlässig bewertet werden könnte. Die Klägerin konnte aber in der mündlichen Anhörung vor dem Gericht glaubhaft vermitteln, dass sie nicht aus eigenem Antrieb sondern auf Drängen der Mutter der Abklärung des Lampenfiebers im Alter von erst 18 Jahren zugestimmt hatte. Außer einem „netten Gespräch“ sei aus den Sitzungen nichts hervorgegangen. Die Klägerin konnte schließlich glaubhaft vermitteln, dass sie bei der Antragstellung fünf Jahre später keine Erinnerungen mehr an den Vorfall hatte.
Der Versicherer wurde schließlich verurteilt, die Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung zu zahlen.
Anmerkungen
Das Urteil zeigt, wie wichtig die richtige Beantwortung der Gesundheitsfragen ist. Der Anspruch der Versicherungsnehmerin stand auf Messers Schneide. Einerseits kam es darauf an, dass gewöhnliches „Lampenfieber“ noch keinen eigentlichen Krankheitswert hat. Dennoch können Versicherer durchaus nach Beeinträchtigungen fragen, die unter der Schwelle einer Erkrankung liegen.
Maßgebend wird in diesem Fall auch gewesen sein, dass die Versicherungsnehmerin nach Überzeugung des Gerichts lediglich fahrlässig gehandelt hat. Hierbei waren allerdings die konkreten Umstände wie das Alter der Klägerin, der Zeitraum zwischen Behandlung und Antragstellung sowie das Ergebnis der therapeutischen Sitzungen maßgebend.
Sofern Sie mit einer Vertragsbeendigung durch Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, einem Rücktritt oder einer Vertragsanpassung konfrontiert werden, sollten Sie immer Rat von einem Rechtsanwalt für Berufsunfähigkeitsversicherung einholen. Die Versicherer prüfen ihre Chancen sehr genau und bleiben meist recht hartnäckig.