Dem Zeitpunkt von Erstbemessung und Neubemessung der Invalidität kommt in der privaten Unfallversicherung eine große Bedeutung zu. Hiermit eng verbunden ist für den Versicherungsnehmer die Frage: Kann der Unfallversicherer auch Leistungen zurückfordern?
Sollten Sie mit dem Ergebnis der Bemessung des Invaliditätsgrads nicht einverstanden sein oder Ihr Unfallversicherer Geld zurückfordern , können Sie jederzeit eine kostenlose Erstberatung anfordern. Sie erhalten in der Regel innerhalb von 48 Stunden einen Rückruf von einem Rechtsanwalt für die private Unfallversicherung und können Ihr Problem besprechen.
Auf dieser Seite können Sie sich zudem über die wichtigsten Probleme rund um Bemessungszeitpunkte und Rückforderungen informieren.
In den AUB ist (etwas missverständlich) geregelt, wann der Zeitpunkt für die Bemessung des Invaliditätsgrads ist. In den meisten AUB findet sich die folgende Regelung:
Die AUB 2020 enthalten zum Beispiel die folgende Regelung:
„2.1.1.2 Eintritt und ärztliche Feststellung der Invalidität
Die Invalidität ist innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall
eingetreten und
von einem Arzt schriftlich festgestellt worden.“
Was ergibt sich aus dieser Regelung?
Hieraus ergibt sich, dass eine dauerhafte Gesundheitsschädigung (Invalidität) innerhalb von 15 Monaten eingetreten sein muss. Zu diesem Zeitpunkt findet also die sogenannte Erstbemessung statt. Es kommt darauf an, wie sich die Gesundheitsschäden zu diesem Zeitpunkt darstellen. Häufig warten Unfallversicherer den Ablauf dieses Zeitpunkts ab, und bemessen erst dann die Höhe der Invalidität.
Der Abschnitt enthält übrigens eine weitere kritische Frist in der privaten Unfallversicherung. Der Eintritt der Invalidität muss ärztlich innerhalb einer bestimmten Frist festgestellt werden. Sie müssen also ein schriftliches Attest Ihres Arztes beibringen, in dem dieser bestätigt, dass Sie einen Unfall erlitten haben und aufgrund dieses Unfalls ein dauerhafter Gesundheitsschaden eingetreten ist.
Die meisten Versicherer nehmen eine Erstbemessung nur dann vor, wenn Sie eine ärztliche Invaliditätsfeststellung vorlegen.
Die Erstbemessung erfolgt in der Regel durch einen Gutachter, der vom Versicherer beauftragt wird. Dieser Arzt stellt die dauerhafte körperliche Beeinträchtigung fest und bewertet sie anhand der sogenannten Gliedertaxe oder je nach Verletzung außerhalb dieser Gliedertaxe. Die Gliedertaxe ist eine Tabelle, die für bestimmte Körperteile und deren Funktionsverlust einen festen Prozentsatz der Invalidität vorgibt. Sind mehrere Körperteile betroffen, werden die Invaliditätsgrade addiert. Im Rahmen einer Begutachtung wird dann die Höhe der Invalidität festgestellt und der Unfallversicherer erklärt sich zu seiner Zahlungsverpflichtung.
§ 188 VVG gibt beiden Vertragsparteien das Recht den Invaliditätsgrad bis zu 3 Jahre neu bemessen zu lassen. Sowohl Versicherungsnehmer als auch Versicherer können also eine Neubemessung verlangen.
Die Musterbedingungen des GdV (AUB 2020) regeln dies wie folgt:
„9.4 Neubemessung des Invaliditätsgrads
Nach der Bemessung des Invaliditätsgrads können sich Veränderungen des Gesundheitszustands ergeben.
Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen AUB 2020 20
Sie und wir sind berechtigt, den Grad der Invalidität jährlich erneut ärztlich bemessen zu lassen.“
Es kommt nicht häufig vor, dass Versicherer eine erneute Bemessung der Invalidität verlangen. Letztlich ist dies nicht verwunderlich. Die privaten Unfallversicherer verfügen über eine immense medizinische Erfahrung über den Verlauf von Gesundheitsschäden nach Unfällen.
Ist eine Verschlechterung der Gesundheitsschäden voraussehbar, wird der Versicherer früh eine Erstbemessung vornehmen und sich anschließend nie wieder bei Ihnen melden.
Vermutet der Versicherer eine Verbesserung des Gesundheitszustands, wird er beispielsweise eine Begutachtung möglichst lange hinauszögern. Teilweise verzögern Versicherer bis zu drei Jahre nach dem Unfall, was aber in Anbetracht der oben beschriebenen Invaliditätseintrittsfrist rechtwidrig ist und den Versicherer in Verzug bringt.
In der Kanzlei wurde die Beobachtung gemacht, dass einige Versicherer die Möglichkeit einer Neubemessung als Druckmittel gegen den Versicherungsnehmer einsetzen, sofern dieser sich unzufrieden mit dem Ergebnis der Erstbemessung zeigt. Hier wird dann auf die Möglichkeit einer Neubemessung verwiesen und dem Versicherungsnehmer gedroht, Leistungen zurückzuverlangen. Sie sollten sich hiervon nicht einschüchtern lassen und sich zuvor von einen Fachanwalt für Versicherungsrecht beraten lassen.
Das Verlangen nach einer Neubemessung muss zwingend vor Ablauf der 3-Jahresfrist beim Unfallversicherer eingehen. Sie sollten aber nicht bis zum letzten Tag warten, sondern ein Neubemessungsverlangen einige Wochen vor dem Ablauf der Frist an den Versicherer am besten schriftlich und vorab per Fax oder als PDF-Datei per E-Mail senden.
Versicherungsnehmer sollten sorgfältig prüfen, ob sie eine erneute Feststellung des Invaliditätsgrads wirklich verlangen wollen. Es sollte kritisch überprüft werden, ob überhaupt eine Verschlechterung des Gesundheitszustands eingetreten ist. Ansprechpartner sollte der behandelnde Facharzt sein. Es bietet sich an, mit diesem die Ergebnisse der Erstbemessung zu besprechen und festzustellen, ob es eine Verschlechterung gegeben hat.
In der Unfallversicherung sollte eine erneute Bemessung der Invalidität keinesfalls leichtfertig verlangt werden. In letzter Zeit hat sich leider eine Rechtsprechung manifestiert, die Unfallversicherern weitgehende Rechte einräumt, Leistungen zurückzuverlangen.
Mehr zu diesem Thema können Sie in dem Artikel „Kann der Unfallversicherer Leistungen zurückfordern?“ lesen.
Eng mit der Neubemessung ist die Frage verbunden, ob der Versicherungsnehmer in der Unfallversicherung zur Rückzahlung empfangener Leistungen verpflichtet sein kann.
In den letzten Jahren sind mehrere Urteile ergangen, nach denen private Unfallversicherer das Recht haben, Invaliditätsleistungen zurückzuverlangen. In der Regel erfolgen Rückforderungen nach einer Neubemessung des Invaliditätsgrads. Allerdings ist die Rechtslage schwierig und kompliziert.
Die Bestimmung des Invaliditätsgrads und die Berechnung der Invaliditätsleistung ist ein für den Versicherungsnehmer oft undurchsichtiger Vorgang. Häufig widersprechen Versicherungsnehmer der als zu gering empfundenen Invaliditätsleistung und werden auf die Neubemessung verwiesen. Mittlerweile wird dieser Verweis mit der Drohung verbunden, man werde Invaliditätsleistungen zurückfordern.
Sie sollten die Berechnungen des Versicherers immer kritisch prüfen und frühzeitig einen Rechtsanwalt für private Unfallversicherung zu Rate zu ziehen. Ein Experte kann Ihr Gutachten schnell auf korrekte Angaben, Berechnungen und Plausibilität überprüfen.
Der BGH hat Unfallversicherern weitgehende Möglichkeiten zugestanden, Invaliditätsleistungen zurückzuverlangen. Stellt sich zu einem späteren Zeitpunkt heraus, dass eine zu hohe Invaliditätsleistung gezahlt wurde, kann der Versicherer die Differenz zurückverlangen.
Typischerweise erfolgen Rückforderungen nach einer Neubemessung. Wird im Rahmen einer erneuten Begutachtung ein geringerer Invaliditätsgrad festgestellt, kann der Versicherer die Differenz zurückverlangen (BGH, Urteil vom 02.11.2022 – IV ZR 257/21).
Nach dem BGH soll eine Pflicht zur Rückzahlung auch nach einer gerichtlichen Überprüfung der Erstbemessung ergeben können. Klagen Sie auf eine höhere Invaliditätsleistung und stellt sich im Prozess ein geringerer Invaliditätsgrad heraus, kann der Versicherer die Differenz grundsätzlich zurückverlangen (BGH, Urteil vom 11.09.2019 – IV ZR 20/18). Dieses Ergebnis ist zumindest fragwürdig, ist der Versicherer doch nach § 187 VVG nach erfolgter Prüfung zu einem Anerkenntnis (oder auch einer konkreten Ablehnung) verpflichtet. Nimmt der Versicherer eine Fehlbewertung vor, ist es schwer nachvollziehbar, warum der Versicherungsnehmer für diesen Irrtum haften soll. Letztlich wird man zumindest derzeit mit dieser Rechtsprechung leben müssen.
Kein Recht zur Rückforderung besteht, wenn der Versicherer den Eindruck erweckt hat, sich zur vertraglich geschuldeten Leistung endgültig erklären zu wollen. In dieser Situation liegt ein Fall unzulässiger Rechtsausübung vor. Die Rückforderung ist nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausgeschlossen (BGH, Urteil vom 11.09.2019 – IV ZR 20/18).
Eine Rückforderung soll ebenfalls ausgeschlossen sein, wenn sich im Rahmen der Neubemessung herausstellt, dass von Anfang an kein oder ein geringerer Anspruch bestand (Jacob r+s 2023, 900). Diese Ansicht verdient Zustimmung, da Inhalt der Neubemessung ist ausschließlich, ob sich seit der Erstbemessung eine Veränderung ergeben hat, nicht aber ob bereits ein Anspruch aus der Erstbemessung bestand. Zu dieser Konstellation besteht derzeit keine obergerichtliche Rechtsprechung.
Es besteht ebenfalls die Möglichkeit, sich auf den Wegfall der Bereicherung zu berufen. Haben Sie beispielsweise die Invaliditätsleistung für außergewöhnliche Ausgaben aufgewendet, müssen Sie diese nicht zurückzahlen. Denkbar wären hier beispielweise, hohe Ausgaben, die mit der Invalidität zusammenhängen (Umbau des Hauses, ein spezielles Fahrzeug, Kuraufenthalte).
Die Themen Erstbemessung, Neubemessung der Invalidität und Rückforderung von Invaliditätsleistungen sind in der privaten Unfallversicherung von hoher Bedeutung. Versicherungsnehmer sollten sich ihrer Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsvertrag immer bewusst sein.
Bei Zweifeln und Streitigkeiten sollte rechtzeitig fachkundige Unterstützung in Anspruch nehmen. Eine umfassende Dokumentation der Frist, des Schriftverkehrs mit dem Versicherer und der Begutachtungssituation hilft bei der Durchsetzung der Rechte.
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