Eine der wichtigsten Fristen in der privaten Unfallversicherung ist die Frist für die schriftliche Feststellung der Invalidität durch einen Arzt. Diese Frist führt in der Praxis teilweise zu enormen Problemen. Wird die Frist versäumt, lässt sich nur noch auf eine inkonsistente Rechtsprechung zurückgreifen. Die Praxis zeigt, dass Versicherer diese Frist zum Teil missbrauchen, um aus der Unfallversicherung nicht zahlen zu müssen. Dieser Beitrag soll Versicherten eine Hilfestellung bieten. Sie werden leider viel lesen müssen.
Was ist die Frist zur schriftlichen Feststellung der Invalidität?
Die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) enthalten immer eine Regelung über einzuhaltende Fristen. Diese Regelung lautet in denen Musterbedingungen des GdV (AUB 2020) beispielsweise wie folgt:
2.1.1.2 Eintritt und ärztliche Feststellung der Invalidität
Die Invalidität ist innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall
– eingetreten und
-von einem Arzt schriftlich festgestellt worden.
Ist eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt, besteht kein Anspruch auf Invaliditätsleistung.
Der GdV schlägt hier eine deutlich verständlichere und deutlichere Regelung vor, als sie in der Praxis teilweise verwandt oder verwendet wird. Es gibt sehr viele Bedingungen, welche die Rechtsfolgen eines Fristversäumnisses weitaus undeutlicher oder gar nicht darstellen.
Falls Sie nicht den gesamten Text lesen wollen, können Sie auf die nachfolgende Checkliste zurückgreifen. Sollten Sie Zweifel an der ärztlichen Invaliditätsfeststellung haben, kontaktieren Sie immer einen Rechtsanwalt für die private Unfallversicherung.
Die Rechtsprechung betrachtet die Frist zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung als echte Anspruchsvoraussetzung. Das bedeutet, die schriftliche ärztliche Feststellung muss innerhalb der vereinbarten Frist vorliegen, um den Anspruch auf die Invaliditätsleistung durchsetzen zu können. Einfach erklärt: Liegt keine schriftliche Bestätigung des Arztes vor oder versäumen Sie die Frist, erhalten Sie kein Geld!
Aufgrund des Rechtscharakters geht man davon aus, dass ein Versäumen der Frist grundsätzlich nicht entschuldbar ist. Etwas andere könnte allenfalls dann gelten, wenn der Versicherte monatelang schwerverletzt im Krankenhaus (z.B. aufgrund eines Komas) liegt.
Hintergrund ist, dass der Versicherer in die Lage versetzt werden soll, den Versicherungsfall prüfen zu können und vor Spätfolgen geschützt werden soll.
Achtung! Versäumen Sie die Frist zur schriftlichen Feststellung der Invalidität durch einen Arzt, können Sie dies in der Regel nicht entschuldigen! Sie erhalten dann von der Unfallversicherung kein Geld!
Die übliche Frist sind 15 Monate. Teilweise wird auch formuliert, dass die Invalidität innerhalb von 12 Monaten eingetreten und innerhalb von weiteren drei Monaten ärztlich festgestellt werden muss.
Es gibt aber vor allem ältere Verträge, die eine Frist von 12 Monaten vorsehen. Höherwertige Verträge beinhalten auch längere Fristen wie 24 Monate oder gar drei Jahre.
Achtung! Prüfen Sie immer Ihren konkreten Vertrag! Die Fristen können unterschiedlich lang sein.
Die schriftliche Invaliditätsfeststellung muss zwingend die folgenden Aussagen treffen:
-Bezeichnung des Unfallereignisses mit Datum
-Konkrete Bezeichnung der Gesundheitsschäden
-Aussage, dass die Gesundheitsschäden durch den Unfall verursacht wurden
-Dauerhaftigkeit der Gesundheitsschäden
Die Bescheinigung muss hingegen keine Feststellung des Invaliditätsgrads enthalten! Der behandelnde Arzt kann eine solche in der Regel auch nicht treffen. Hierfür ist üblicherweise eine umfangreichere Begutachtung notwendig.
Die Rechtsprechung verwendet gern die Floskel, dass die Anforderung an die ärztliche Invaliditätsfeststellung nicht hoch sind. Tatsächlich sieht es anders aus. Die anwaltliche Praxis in der privaten Unfallversicherung zeigt, dass viele Versicherte (und auch Ärzte) wenig Vorstellungen haben, was in die geforderte Feststellung enthalten sein muss. Nachfolgend sollen typische Probleme und Irrtümer erläutert werden.
Viele Versicherte meinen, es würde ausreichen, wenn sie dem Unfallversicherer die vorliegenden Atteste, Arztberichte oder andere Gutachten übersenden. Insbesondere bei schweren Unfallfolgen gehen Versicherte (berechtigterweise) davon aus, dass es dem Versicherer klar sein muss, dass aufgrund des Unfalls eine schwere Gesundheitsbeschädigung vorliegt. Leider ist das ein Irrtum. Grundsätzlich können Arztbericht oder gar Gutachten ausreichen, aber: Arztberichte sind nicht für den Unfallversicherer erstellt. Fehlt nur eine der oben genannten Angaben, ist die „Anspruchsvoraussetzung“ nicht erfüllt und Sie erhalten kein Geld. Hierdurch kommen wir zu den Folgeproblemen.
Teilweise wird auf Arztberichten der Unfall nicht richtig wiedergegeben. Grundsätzlich sollten Sie immer darauf achten, den behandelnden Ärzten den Unfall genau (!) zu schildern. Insbesondere Ihre erste Schilderung ist extrem wichtig, um Ihre Ansprüche gegenüber dem Unfallversicherer durchzusetzen.
Mit welchen Mitteln Unfallversicherer arbeiten, zeigt ein Urteil des OLG Jena (Urteil vom 31.08.2017 – 4 U 820/15). Nach einem Tauchunfall hatte der Arzt lediglich angegeben „Stammganglienblutung re. v. 20.03.09“. Der Unfallversicherer bzw. dessen Anwälte bestritten das Vorliegen einer Invaliditätsfeststellung, da der Arzt den Unfall nicht konkret bezeichnet hätte. Die Richter erteilten dieser Argumentation zurecht eine Absage.
Es ist entscheidend, dass auf der Feststellung der Zusammenhang zwischen Unfall und Gesundheitsschäden angegeben wird. Es müssen Formulierungen enthalten sein wie „durch den Unfall“ oder „Unfallfolge“. In normalen Arztberichten fehlen oftmals derartige Angaben.
Ein großes Problem bei üblichen Arztberichten sind fehlende Angaben zur Dauerhaftigkeit. Meist sind diese nicht enthalten. Welcher Arzt teilt seinem Patienten schon mit „Das wird nichts mehr.“? Teilweise sollen prognostische Formulierungen (schlechte Prognose, negative Prognose) genügen. Dies ist jedoch ein unsicheres Feld. Es sollte immer auf ärztliche angaben geachtet werden, welche die Dauerhaftigkeit bescheinigen.
Tipp: Ärzte haben teilweise eine gewisse Scheu, derartige Angaben zu machen. Sprechen Sie Ihren Arzt offen darauf an, dass Sie diese Angaben für die Unfallversicherung benötigen. Eine Diagnose der voraussichtlichen „Dauerhaftigkeit“ kann sich später auch als unzutreffend erweisen. Für den Arzt ist dies kein Problem.
Sie können natürlich den Arzt auch gern auf diese Seite verweisen.
Die ärztliche Feststellung der Invalidität muss immer sämtliche Gesundheitsschäden enthalten. Fehlen Verletzungsfolgen, erhalten Sie für die nicht angegeben Schäden keine Invaliditätsleistung.
Seriöse Unfallversicherer übersenden im Übrigen ein Formular, welches Sie ihrem Arzt vorlegen müssen. Professionelle Unternehmen drängen sogar wiederholt darauf, dass Ihnen das Formular zurückgesandt wird. Es gibt aber eben auch die anderen.
Der Gesetzgeber hat die hohe Missbrauchsgefahr mit Fristen in der Unfallversicherung erkannt und in § 186 VVG geregelt, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer über den Ablauf von Fristen belehren muss. Über diese Belehrungspflicht gibt es seit Jahren unglaublich viel Streit vor den Gerichten. Die Fülle an Einzelfallentscheidungen ist kaum mehr zu überblicken.
Seriöse Versicherer belehren meist deutlich hervorgehoben über die einzuhaltenden Fristen. Es gibt aber schwarze Schafe, die Belehrungen regelrecht verstecken. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Belehrungen so gestaltet sein müssen, dass der Versicherungsnehmer sie gut wahrnehmen kann. Andernfalls wird eine Belehrung ihrer Warnfunktion nicht gerecht.
In jedem Fall muss eine schriftliche ärztliche Invaliditätsfeststellung vom Versicherungsnehmer beigebracht werden. Hat der Versicherer aber nicht oder nicht wirksam belehrt, kann er sich gemäß § 186 VVG nicht auf der Frist berufen. Ist die Frist also versäumt, senden Sie also vorsorglich eine ärztliche Invaliditätsfeststellung schnellstmöglich an den Versicherer. Prüfen Sie anschließend, ob Sie entsprechend belehrt worden.
Die Rechtsprechung hat erkannt, dass es Versicherer gibt, welche die Problematik um die ärztliche Invaliditätsfeststellung missbrauchen. Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, „dass die Berufung des Versicherers auf den Ablauf der Frist zur ärztlichen Feststellung der Invalidität im Einzelfall rechtsmißbräuchlich sein kann, so dass die Versäumung der Frist dem Versicherungsnehmer nicht schadet.“ (BGH, Urteil vom 23.02.2005 – IV ZR 273/03)
Mittlerweile besteht eine schier unübersichtliche Einzelfallrechtsprechung zu dem Thema. Es lassen sich aber im Wesentlichen die folgenden Fallgruppen erkennen:
Dies kommt in der anwaltlichen Praxis häufig vor. So verschicken Versicherungsnehmer meistens sämtliche ärztliche Berichte an den Unfallversicherer und meinen, hiermit wäre ihre Pflicht zur Beibringung der „ärztlichen Feststellung“ erfüllt. Oftmals enthalten diese Berichte aber keine Aussage zur Dauerhaftigkeit (siehe oben). Der Versicherer sollte dann verpflichtet sein, den Versicherungsnehmer erneut zu belehren.
Auch dieser Fall kommt sehr häufig vor. In der anwaltlichen Praxis ist aufgefallen, dass Unfallversicherer diese Methode gern anwenden, wenn bestimmte Verletzungen vorliegen, die Probleme bei der Kausalität nahelegen. Hierzu aber im nächsten Abschnitt.
Wer bis hierhin durchgehalten wird, kann unschwer auf die Idee kommen, dass ein derartig kompliziertes Geflecht den Nährboden an Manipulationen bietet. In diesem Abschnitt sollen typische Tricks von Unfallversicherern dargestellt werden. Nicht jeder Versicherer verhält sich auf diese Weise. In der Kanzlei fällt durchaus auf, dass es immer die selben schwarzen Schafe unter den Versicherern sind.
Die wohl unseriösesten Manipulationen finden bei zu erwartendem Streit um den Ursachenzusammenhang zwischen Unfall und Gesundheitsschäden statt (Kausalität).
Der Versicherte erleidet einen Unfall mit schweren Verletzungen, bei denen schwierige Diskussionen zum Zusammenhang zwischen Unfall und Gesundheitsschäden zu erwarten sind. Die sind Verletzungen, in denen als Ursache neben dem Unfall auch Degenerations- bzw. Verschleißerscheinungen in Frage kommen können oder bei denen der Nachweis einer „ersten Gesundheitsschädigung“ schwierig sein kann.
In der Regel betrifft dies vor allem die folgenden Verletzungen:
-Wirbelsäulenverletzungen und Querschnittslähmungen
-HWS-Distorsionen (Schleudertrauma)
-Schulterverletzungen (Rotatorenmanschette, Supraspinatussehne)
Es handelt sich also oftmals um Verletzungen, die zu einer sehr hohen Invaliditätsleistung führen können. Es ist außerdem wichtig zu wissen, dass es zu den benannten Verletzungen im deutschsprachigen Raum eine Vielzahl von „versicherungsmedizinischer“ Literatur gibt, die im Interesse von Versicherern erstellt wurde und offensichtlich Begutachtungsergebnisse manipulieren soll.
Unseriöse Unfallversicherer manipulieren wie folgt:
Der Versicherte schickt an den Versicherer umfassende medizinische Unterlagen, die den Unfall bezeichnen und aus denen ein schwerwiegender Schaden ersichtlich ist.
Der Versicherer fragt keine schriftliche ärztliche Invaliditätsfeststellung ab, sondern gibt sogleich ein Gutachten in Auftrag (oftmals bei einem Gutachterinstitut). Das Gutachten endet damit, dass der Gutachter des Versicherers behauptet, ein Zusammenhang zwischen dem Unfall und den schweren Gesundheitsschäden sei nicht nachweisbar. Entweder wird behauptet, der Schaden beruhe auf Degenration oder es fehle an einem „Erstkörperschaden“.
Anschließend antwortet der Unfallversicherer nicht mehr oder verweist immer wieder auf das Gutachten. Der hilflose Versicherungsnehmer wird allein gelassen. Die Frist verstreicht.
Die andere Variante ist, dass der Versicherer rät, ein Jahr zu warten. Die dauerhaften Schäden könnten erst dann festgestellt werden. Grundsätzlich ist dies richtig, nur läuft der Versicherungsnehmer eben Gefahr, dass die Frist abläuft.
Der Versicherer gibt dann kurz nach Ablauf des Jahres ein Gutachten in Auftrag. Der Termin ist zwei Monate später und nach weiteren zwei Monaten liegt das Gutachten vor. Die Frist ist versäumt.
Irgendwann wendet sich der Versicherungsnehmer an einen Rechtsanwalt für die private Unfallversicherung, der nach erfolglosem außergerichtlichen Argumentieren Klage einreicht und hoffentlich eine (verspätete) schriftliche ärztliche Invaliditätsfeststellung nachreicht. Die Möglichkeiten sind nunmehr begrenzt.
Im Prozess beruft sich der Anwalt des Versicherers auf die versäumte Frist zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung. Auch das Gutachten kann nicht (wie in anderen Fällen) als ärztliche Invaliditätsfeststellung herhalten, da es ja eben die Kausalität zwischen Unfall und Verletzung verneint.
Jetzt muss der Versicherte Glück habe, um an einen Richter zu geraten, der die Manipulation des Versicherers erkennt. Erkennt der Richter dies nicht, wird die Klage abgewiesen, ohne dass es ein Gutachten gibt.
Genial oder? Der Versicherer spart womöglich hunderttausende Euro, nur weil er einen Verbraucher in die Falle gelockt hat. Leider passiert diese Art der Manipulation häufig. Mit Rechtssicherheit oder Verbraucherschutz hat diese Phänomen leider nur wenig zu tun.
Die notwendigen Voraussetzungen einer schriftlichen ärztlichen Invaliditätsfeststellung sind für den Laien schwierig zu erfassen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird überwiegen davon ausgehen, dass beispielsweise die Übersendung umfangreicher Arztberichte genügt. Versicherer sind eigentlich schon aus Gründen des Verbraucherschutzes verpflichtet, den Versicherungsnehmer aufzuklären. Manchmal geschieht dies. Manchmal schweigt der Versicherer. Bei letzterem sollte unbedingt ein Anwalt aufgesucht werden.
Mandanten haben auch berichtet, dass sie beim Versicherer anriefen und ausdrücklich erkundigten, was denn unter der ärztlichen Feststellung der Invalidität zu verstehen ist. Am anderen Ende der Leitung gaben Mitarbeiter ausweichende Antworten oder verwiesen auf Gutachten die erstellt wurden oder man noch erstellen wolle.
Teilweise berichteten Mandanten im Rahmen einer kostenlosen Ersteinschätzung, dass der Versicherer selbst auf Anfrage kein Formular übersandten. Das ist relativ unüblich. Erst nachdem die Mandanten auf anwaltlichen Rat erheblichen Druck ausübten, wurde ein Formular übersandt.
Wenn Sei Fragen zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung haben, können Sie immer den Service der Kanzlei für eine kostenlose Ersteinschätzung nutzen. Die meisten Fragen lassen sich schnell beantworten.
Wenn Sie ein negatives Gutachten erhalten haben, welches den Aussagen Ihrer behandelnden Ärzte widerspricht, sollten Sie immer und unverzüglich einen Rechtsanwalt einschalten. Sie brauchen keine „Widersprüche“ an den Versicherer oder diskutieren. Sie verlieren wertvolle Zeit. Was Sie erlebt haben, hat System. Es ist kein Zufall.
Wenn der Versicherer Sie mit der Gutachtenerstellung länger als ein Jahr hinhalten will, sollten Sie ebenfalls aufmerksam werden. Auch hier empfiehlt es sich, besser beim Anwalt nachzufragen.
Unterschätzen Sie nicht die zahlreichen Möglichkeiten von Unfallversicherern Sie quasi über den Tisch zu ziehen. Es hat sich in den letzten Jahrzehnten auf medizinischem und juristischem Gebiet eine Vielzahl von Literatur, Veröffentlichungen und Rechtsprechung herausgebildet, die den Versicherern nützt. Vieles hiervon ist im Auftrag oder zumindest im Dunstkreis der Versicherungswirtschaft entstanden. Die private Unfallversicherung ist für viele Versicherungsgesellschaften eine erhebliche Einnahmequelle und die Fachwelt in den letzten Jahren schlichtweg manipuliert worden. Leider erkennen Gerichte dies nur zum Teil.
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