Die Vernehmung des behandelnden Arztes als sachverständigen Zeugen im Anschluss an ein für den Versicherungsnehmer negativen gerichtlichen Sachverständigengutachtens ist unzulässig. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn durch den als Zeugen benannten Arzt keine konkreten Anknüpfungstatsachen bekundet werden können (OLG Hamm, Beschluss vom 09.11.2023 – 20 U 206/23).
Mit der zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichtes Hamm wurde der Antrag auf Prozesskostenhilfe für ein Berufungsverfahren mangels hinreichender Erfolgsaussichten zurückgewiesen.
Der Versicherungsnehmer begehrte Leistungen aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung. Nach der Leistungsantrag auf die BU-Rente erkannte der Versicherer die Berufsunfähigkeit erst am 09.01.2017 an (Anmerkung: Leistungen wurden wohl ab Januar 2016 anerkannt.) Allerdings wurde der Versicherungsnehmer zuvor ab dem 01.04.2015 aufgrund seiner finanziellen Verhältnisse beitragsfrei gestellt und ihm stand nur noch eine geringere Rente zu. Mit seiner Klage machte der Versicherungsnehmer Leistungen ab April 2015 geltend, also zu dem Zweitpunkt, als der Vertrag noch beitragspflichtig und die höhere Rente vereinbart war.
Das Gericht ordnete die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens an. Der Gutachter verneinte die Berufsunfähigkeit des Klägers ab April 2015, woraufhin dieser seinen behandelnden Arzt als sachverständigen Zeugen für die bereits früher eingetretene Berufsunfähigkeit benannte. Das Landgericht lehnte die Vernehmung des Arztes als Zeugen ab.
Hiergegen wollte der Versicherungsnehmer Berufung einlegen und beantragte Prozesskostenhilfe. Das OLG lehnte den Antrag auf PKH ab, da es keine hinreichenden Aussichten auf Erfolg sah.
Die Vernehmung des Arztes als sachverständigen Zeugen für die Berufsunfähigkeit wäre ein unzulässigen „Sachverständigenbeweis durch einen Zeugen“. Die Beweisführung in der Berufsunfähigkeitsversicherung habe ausschließlich durch einen Sachverständigenbeweis möglich und dem Zeugenbeweis nicht zugänglich.
Das Gericht deutete aber an, dass eine andere Beurteilung möglich sei, wenn der Kläger konkrete Tatsachen benannt hätte, die der behandelnde Arzt „als sachverständiger Zeuge bekunden soll und welche die Beurteilung durch den Sachverständigen und das Landgericht in Frage stellen würden“.
Solche Tatsachen seien vom Kläger aber nicht benannt worden. So sollte der Arzt bezeugen, dass Knieprobleme „sehr schmerzhaft“ gewesen wären. Der Sachverständige hatte aber das Schmerzsyndrom bereits berücksichtigt, allerdings festgestellt, dass das Schmerzsyndrom nicht zu einer Leistungseinschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit geführt habe. Es sei daher nicht so, dass der Sachverständige die BU verneint habe, da er keine morphologischen Veränderungen feststellen konnte. Vielmehr hatte er die Angaben zu den Schmerzen zu Grund gelegt und trotzdem die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit verneint.
Durch die Benennung des Arztes als sachverständigen Zeuge möchte der Kläger einen unzulässigen „Sachverständigenbeweis durch einen Zeugen“ einführen, wenn er geltend macht, dass das Gericht hätte klären müssen, „wie der sachverständige Zeuge die Zumutbarkeit einer weiteren Berufstätigkeit von 4 Stunden täglich bewertet“.
Das Landgericht war nach Ansicht der Berufungsinstanz also richtigerweise, davon ausgegangen, dass dem Kläger lediglich die reduzierte Rente ab Januar 2016 zugesteht.
Der Versicherungsnehmer könne aus dem Anerkenntnis vom 09.01.2017 keine Ansprüche auf Zahlung der höheren Rente herleiten.
Das Anerkenntnis nach § 173 I VVG erstrecke sich lediglich auf den Grund und auf den zeitlichen Umfang der Leistungspflicht des Versicherers. Eine bindende Aussage hinsichtlich der Höhe ließe sich dem Anerkenntnis nicht entnehmen. Sinn und Zweck des Anerkenntnisses sei es, das Vorliegen der Berufsunfähigkeit außer Streit zu stellen. Die Mitteilung der Höhe sei lediglich eine Information, aus welcher der Versicherungsnehmer keine Rechte herzuleiten vermag (Anmerkung: Hier waren wohl die ursprünglich höheren Renten angegeben worden.)
Die Beklagte hatte nach der Beitragsfreistellung irrtümlich die Beiträge weiter eingezogen. Aber auch hieraus sollte der Kläger keine Vorteile herleiten können. Insbesondere sei hieraus keine stillschweigende Vereinbarung herzuleiten. Der Kläger sei darlegungs- und beweisbelastet für eine solche Vereinbarung. Eine Beweis hatte der Kläger allerdings nicht angetreten.
Die Richter hielten es für abwegig, dass ein Versicherer einen Vertrag wieder beitragspflichtig stellt, ohne Kenntnis der finanziellen Verhältnisse des Versicherungsnehmers zu haben und diesen zu informieren. Eine Beitragsfreistellung sei eine Vereinbarung, die einen Antrag des Versicherungsnehmers voraussetzt. Gleiches gelte für die Wiederinkraftsetzung der Beitragspflicht.
Der Beschluss ist relativ schwer zu lesen, da er lediglich entscheidungserhebliche Punkte herausgreift. Die Darstellung wurde daher auf das Wesentliche fokussiert.
Viele Versicherungsnehmer äußern die Idee, den behandelnden Arzt für die Berufsunfähigkeit als Zeugen zu benennen. In vielen Fällen wird der Rechtsanwalt beim Streit mit der Berufsunfähigkeitsversicherer vorsorglich den Arzt als Zeugen benennen, wobei in den meisten Fällen dessen Tauglichkeit als Beweismittel gering sein dürfte. Den behandelnden Arzt quasi als Sachverständigen in den Prozess einzuführen, ist unzulässig.
Es wäre in Fallkonstellationen wie der beschriebenen allerdings denkbar, den Arzt als Zeugen für das Vorliegen und die Intensität eines Schmerzsyndroms zu benennen, sofern dieses als solches in Streit steht. Diese Frage stellte sich hier jedoch nicht. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hatte das Schmerzsyndrom ebenfalls zur Grundlage seines Gutachtens gemacht, die Intensität im streitigen Zeitraum jedoch anders bewertet.
Auch hinsichtlich des Anerkenntnisses und der Befreiung von der Beitragspflicht überrascht die Entscheidung kaum. Für die Wiedereinsetzung der Beitragspflicht und ggf. der höheren Rente ist eine Vereinbarung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer erforderlich. Aus einem fälschlicherweise vorgenommenen Beitragseinzug kann eine stillschweigende Vereinbarung dagegen nicht angenommen werden.
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