Vorinvalidität in der privaten Unfallversicherung

Die Vorinvalidität ist neben der Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen ein weiterer Aspekt, nach dem Unfallversicherer die Invaliditätsleistung kürzen können. Oftmals können Kürzungen jedoch ungerechtfertigt sein. Die in Einzelfällen recht komplizierte Materie sollte immer in die Hände eines erfahrenen Rechtsanwalts für private Unfallversicherung gegeben werden.

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Was bedeutet Vorinvalidität in der privaten Unfallversicherung?

Die Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen AUB 2020 des GdV definieren Vorinvalidität in Ziff. 2.1.2.2.3 wie folgt:

Eine Vorinvalidität besteht, wenn betroffene Körperteile oder Sinnesorgane schon vor dem Unfall dauerhaft beeinträchtigt waren.

Es kommt also darauf an, ob das betroffene Körperglied oder Sinnesorgan bereits vor dem Unfall geschädigt war. Die bereits vorliegende Beeinträchtigung wird dann nach den gleichen Maßstäben bemessen wie die Invalidität nach dem neueren Unfall. Der Vorinvalidität wird anschließend abgezogen.

Typischerweise liegt in derartigen Konstellationen bereits ein früherer Unfall vor, der bereits zu einer Invalidität geführt hat. Es leuchtet daher ein, dass eine Invalidität nicht zwei Mal mit dem vollen Invaliditätsgrad bemessen wird.

Was ist der Unterschied zwischen Vorinvalidität und der Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen?

Eine weitere Kürzungsmöglichkeit besteht für den Versicherer, wenn Krankheiten und Gebrechen an der Gesundheitsschäden mitgewirkt haben. Hier kommt es also darauf an, ob der Versicherungsnehmer an Krankheiten und Gebrechen litt, die nach dem Unfall dazu führten, dass die Gesundheitsschädigung größer war, als dies bei einem gesunden Menschen der Fall gewesen wäre.

In vielen Fällen geht es bei diesem Mitwirkungsanteil um Degenrationserscheinungen, die das altersübliche Ausmaß übersteigen. Aber auch Krankheiten wie Diabetes, Morbus Bechterew, Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen fallen unter diese Rubrik.

Können Vorinvalidität und Mitwirkungsanteil gleichzeitig abgezogen werden?

Zu schwierigen rechtlichen und medizinischen Fragen führen Konstellationen, in denen sowohl eine Vorinvalidität als auch ein Mitwirkungsanteil aufgrund von Krankheiten und Gebrechen vorliegt. Da das Zusammenspiel beider Kürzungsmöglichkeiten zu enormen medizinischen und rechtlichen Schwierigkeiten führen kann, entscheiden Versicherer in diesen Situationen meistens zum Nachteil der Versicherungsnehmer. Ein Fall aus der Kanzlei, in dem die Unfallversicherung nicht die gesamte Invaliditätsleistung zahlte, soll dies veranschaulichen:

Beispiel: Der Versicherungsnehmer erlitt bereits im Jahr 2018 eine Knieverletzung. Es bestand ein Invaliditätsgrad von 1/10.  Im Jahr 2022 stürzte der 45jährige beim Turnen und verletzte sich abermals am Knie. Nach diesem Unfall war das Knie derart geschädigt, dass ein Invaliditätsgrad von 5/10 anzunehmen war.

Der Gutachter des Unfallversicherers zog von den 5/10 die bereits vorliegenden 1/10 ab. Außerdem behauptete der Gutachter, es läge ein Mitwirkungsanteil von 50% aufgrund degenerativer Erkrankungen vor, die darauf zurückzuführen waren, dass der Versicherungsnehmer über viele Jahre Leistungssport (Turnen) betrieben hatte.

Der Fall, der in etwa einem Fall aus der Kanzlei beschreibt, zeigt die drastischen Kürzungsmöglichkeiten, die Unfallversicherer immer wieder behaupten.

BGH: kumulativer Abzug von Vorschäden ist möglich

Die Rechtsprechung geht tatsächlich davon aus, dass ein kumulativer Abzug von Vorinvalidität und Mitwirkungsanteil möglich sein soll (zum Beispiel BGH, Beschluss vom 18.01.2017, Az.: IV ZR 481/15).

Im beschriebenen Fall würden also von 5/10 des Beinwerts lediglich 2/10 verbleiben. Wer hier im Einzelfall nicht aufpasst, wird schnell vom Unfallversicherer über den Tisch gezogen. Denn tatsächlich ist die Problematik meistens komplizierter als Versicherer gern behaupten.

Abzug von Vorschäden: Beweislast liegt beim Versicherer!

Den Unfallversicherer trifft in beiden Fällen die Beweislast für die Höhe der Vorinvalidität sowie den Mitwirkungsanteil. Erfahrungsgemäß lässt sich die Vorinvalidität anhand der medizinischen Unterlagen noch ermitteln. Relativ häufig sind frühere Verletzungen aber mit verstärkten degenerativen Erkrankungen (Arthrose) an Gelenken oder Wirbelsäule verbunden. Treffen diese (beispielsweise durch einen früheren Unfall bedingten) Erkrankungen mit anderen Verschleißerkrankungen zusammen, hat der Versicherer ein Beweisproblem. Er muss nämlich ziemlich genau beweisen, wie hoch der jeweilige Anteil tatsächlich ausfällt. Dieser Beweis wird dem Versicherer selten gelingen, weshalb bei der Beweiswürdigung (eigentlich) der Mitwirkungsanteil nicht zu berücksichtigen sein wird.

Fazit

Trifft die Vorinvalidität in der privaten Unfallversicherung mit dem Mitwirkungsanteil zusammen, wird es kompliziert. Behauptet der Unfallversicherer Ihnen gegenüber beide Kürzungstatbestände sollten Sie immer einen Versicherungsrechtler und Anwalt für die private Unfallversicherung zu Rate ziehen. Die rechtlichen und medizinischen Aspekte müssen von Ihnen als Versicherungsnehmer (bzw. Ihrem Anwalt) konkret bezeichnet und vorgetragen werden. Andernfalls werden Sie weder außergerichtlich noch in einem Gerichtsverfahren mit Ihren berechtigten Ansprüchen durchdringen.