Das Oberlandesgericht Saarbrücken befasste sich in seinem Urteil vom 05.02.2025, Az. 5 U 31/24 mit dem Zeitpunkt des Versicherungsfalls in der privaten Unfallversicherung bei Borreliose und (wieder einmal) mit der Ärztlichen Invaliditätsfeststellung. Auch in diesem Fall zahlte die private Unfallversicherung nicht, da der Versicherungsnehmer die Frist versäumt hatte.
Die vom Versicherer verwendeten Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) definierten zunächst wie üblich den Unfall als ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis), wodurch die versicherte Person unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Zusätzlich wurde der Ausbruch der Infektionskrankheit „Borreliose“ als versicherter Unfall geregelt.
Vereinbart war außerdem als Anspruchsvoraussetzung für die Invaliditätsleistung die schriftliche ärztliche Invaliditätsfeststellung innerhalb von 18 Monaten.
Im August 2020 wurde beim Kläger eine Borreliose diagnostiziert. Der Versicherungsfall wurde dem Versicherer unverzüglich angezeigt, der über die Frist zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung belehrte. Nach Angaben des Klägers lag der Borreliose wohl ein Zeckenbiss aus dem Jahr 2017 zugrunde.
Der Unfallversicherer erklärte im Zusammenhang mit einem weiteren Versicherungsfall die mitversicherte Ehefrau betreffend eine Anfechtung und einen Rücktritt wegen einer angeblichen vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung aufgrund eines Herzklappenfehlers und einer Herzmuskelerkrankung der Ehefrau und verweigerte die Zahlung.
Der Anwalt des Klägers forderte am 23.02.2022 den beklagten Unfallversicherung erfolglos zur Zahlung auf, die erwartungsgemäß nicht erfolgte. Schließlich klagte der Rechtsanwalt gegen den Unfallversicherer vor dem LG Saarbrücken, welches die Klage abwies. Vor dem OLG Saarbrücken wurde Berufung eingelegt.
Der Senat bestätigte die Klageabweisung durch das erstinstanzliche Gericht. Die Frage einer Beendigung des Vertrags durch Anfechtung oder Rücktritt wurden von den Richtern offengelassen.
Hinsichtlich der Borreliose trafen die Richter die folgenden Feststellungen:
„Durch die Verwendung des Wortes „Ausbruch“ wird aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse, auf dessen Verständnis es bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen ankommt (BGH, Urteil vom 23. Juni 1993 – IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85 und ständig) schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch auf den Zeitpunkt abgestellt, in dem die ersten Symptome der Erkrankung auftraten. Dafür genügte es, dass der Kläger unter Vorlage eines ärztlichen Attests vom 28. Oktober 2020 (Anlage A6) darlegte, dass sich im Nachgang zu einem augenscheinlich folgenlosen Zeckenbiss und einer Verletzung am Zeh (erstmals) im Juni 2020 ein Taubheitsgefühl eingestellt und der Neurologe Dr. W. daraufhin mittels eines Bluttests festgestellt habe, dass der Kläger an Borreliose leide.“
Die Klage scheiterte jedoch am Nichtvorliegen einer fristgemäßen ärztlichen Invaliditätsfeststellung innerhalb von 18 Monaten nach dem Unfall.
Die Richter prüften zunächst, ob die vorgelegten Arztberichte die Anforderungen an eine ärztliche Invaliditätsfeststellung erfüllen können. Das „Ärztliche Attest“ eines Neurologen enthielt zwar die Feststellung einer Borreliose seit Juli 2020, traf aber keine Aussage über die Dauerhaftigkeit von Gesundheitsschäden.
Eine ärztliche Bescheinigung aus dem November 2023 war verfristet und enthielt ebenfalls keine Angaben über Dauerschäden, die einen konkreten Bezug zur Borreliose aufwiesen.
Der Kläger benannte schließlich die behandelnden Ärzte als Zeugen für eine fristgerechte Feststellung der Invalidität. Im Einklang mit der herrschenden Rechtsprechung (z.B. OLG Jena, 30.07.2021, Az. 4 U 1149/20) ging der Senat dem Beweisangebot nicht nach. Es entspräche allgemeiner Ansicht, dass „bei Fehlen einer – wie hier – geforderten fristgerechten „schriftlichen“ Feststellung eine Zeugenaussage des Arztes nicht ausreicht, weil dann die bis dahin nicht getroffene Feststellung erst mit dieser Aussage der Vorstellungswelt des Arztes heraus nach außen dringen würde“.
Dem Unfallversicherer sei es auch nicht versagt, sich auf das Fristversäumnis gemäß § 286 Satz 2 VVG zu berufen. Unabhängig von den fehlenden Angaben auf der verspäteten Invaliditätsfeststellung sei der Kläger durch die E-Mail vom 02.09.2020 unterrichtet worden.
Auch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nach § 242 BGB sei es dem Versicherer nicht versagt, sich auf das Fristversäumnis zu berufen. Dies sei der Fall, wenn der Versicherer „trotz Fristablaufs den Versicherten veranlasst hat, sich umfangreichen Untersuchungen zur Feststellung der umstrittenen Invalidität zu unterziehen“ oder wenn dem Versicherer einen zusätzlichen Belehrungsbedarf des Versicherten deutlich wird und der Versicherer eine weitere Belehrung unterlässt und die ihm vorliegenden ärztlichen Unterlagen dies nahelegen. Treuwidrig handele der Versicherer auch, wenn er zu erkennen gibt, dass es auf das Einhalten der Frist keinen Wert legt. Zu all dem sei im konkreten Fall nichts ersichtlich.
Der Kläger wandte außerdem ein, es sei eine Obliegenheit des Versicherers, die ärztliche Invaliditätsfeststellung bei den Versicherern anzufordern. Auch diesem Argument erteilten die Richter eine Absage. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer sei erkennbar, dass es sich bei der ärztlichen Invaliditätsfeststellung um eine „Voraussetzung für die Leistung“ handele. Der Versicherungsnehmer müsse daraus schließen, dass die schriftliche Feststellung von ihm selbst beigebracht werden müsse. Eine andere Sichtweise würde auch keine Stütze in den verwendeten Bedingungen finden. Zudem sei der Versicherungsnehmer nach § 186 VVG belehrt worden.
Die Entscheidung beleuchtet zwei bedeutsame Fragen in der privaten Unfallversicherung. Einerseits den Versicherungsfall bei einer Borreliose und (wieder einmal) die komplizierten Anforderungen an die ärztliche Invaliditätsfeststellung und die damit zusammenhängenden Fristen in der privaten Unfallversicherung.
Borreliose aufgrund eines Zeckenbisses waren wiederholt Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen. Die Problematik besteht in der Subsumtion unter dem Unfallbegriff. Der Zeckenbiss als Unfallereignis und die Borreliose als kausaler Gesundheitsschaden fallen zeitlich häufig auseinander. Die Fristen zum Invaliditätseintritt und der ärztliche Invaliditätsfeststellung ist dann teilweise versäumt. Der Kläger konnte hier allerdings auf „bessere Bedingungen“ zurückgreifen. Das Gericht stellte klar, dass bei der verwendeten Formulierung der Ausbruch der Borreliose als Versicherungsfall gilt und ab diesem Zeitpunkt die Fristen anfingen zu laufen.
Daneben handelt der Senat das Dauerthema der schriftlichen Invaliditätsfeststellung durch einen Arzt ab. Auch in dieser Entscheidung wird wiederum deutlich, wie kompliziert sich diese Anspruchsvoraussetzung in der Praxis darstellt. Aus meiner Sicht können die hohen und komplexen medizinischen und rechtlichen Anforderungen vom viel zitierten „durchschnittlichen Versicherungsnehmer“ kaum durchblickt werden.
Versicherungsnehmer sollten die Fristen im Vertrag und die Belehrung des Versicherers (meist im ersten Schreiben nach Unfallanzeige) genauestens prüfen und überwachen. Werden Probleme sichtbar oder drohen Fristen abzulaufen, sollte unverzüglich der Rat eines Rechtsanwalts für die private Unfallversicherung eingeholt werden.
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