Ein häufiger Grund, warum die private Unfallversicherung nicht zahlt, ist die Behauptung Vorerkrankungen hätten an der Invalidität mitgewirkt. Oftmals werden geradezu absurde Mitwirkungsanteile von 80% bis 90% pauschal behauptet. Warum diese Behauptungen nicht zwangsläufig richtig sein müssen, zeigt ein Urteil des Bundesgerichtshofs in der privaten Unfallversicherung und der Fall eines Versicherten mit einer Diabetes-Erkrankung.

BGH, Urteil vom 03.12.2008 – Aktenzeichen IV ZR 20/06

 

Zum Sachverhalt

Der Versicherte trat während der Ostertage 1999 bei den Holzarbeiten auf seinem Grundstück mit seiner linken Ferse in einen rostigen Nagel. Es folgten mehrere operative Eingriffe und eine Gewebetransplantation. Dabei kam es zu einer Wundheilungsstörung, die einen erneuten Krankenhausaufenthalt notwendig machte. Dabei infizierte sich der Versicherte mit einem multiresistenten Staphylococcus aureus (MRSA). Das Bein des Versicherten musste amputiert werden.

Der Unfallversicherer lehnte Zahlung einer Invaliditätsleistung mit der Begründung ab, es bestehe kein Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und der Amputation läge nicht vor. Vielmehr sei die Amputation allein auf die Diabetes-Erkrankung zurückzuführen.

Später wurde vom Versicherer zusätzlich behauptet, es läge ein hoher Mitwirkungsanteil durch die Diabetes vor, was zur (teilweisen) Leistungsfreiheit führen würde.

Verfahrensgang

Das Landgericht hatte den Unfallversicherer im Wesentlichen zur Zahlung verurteilt. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hatte lediglich einen unerheblichen Mitwirkungsanteil durch den Diabetes von 20% festgestellt. Dieser hätte sich nicht ausgewirkt, da nach den vereinbarten Versicherungsbedingungen die Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen erst ab 25% zu einer Kürzung der Invaliditätsleistung führen.

Der unterlegene Versicherer ging in Berufung und das Oberlandesgericht bestellte einen anderen Sachverständigen, der einen Mitwirkungsanteil von 90% behauptete. Der Versicherte würde danach lediglich eine sehr geringe Zahlung erhalten.

Der Versicherte ging daraufhin in Revision.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs

Der BGH verwies das Urteil zurück an das Oberlandesgericht.

Die Richter bestätigten zunächst, dass eine Kausalität zwischen dem Tritt in den Nagel als Unfallereignis und der daraufhin eingetretenen Invalidität vorliegt.

Der vom Oberlandesgericht angesetzte Mitwirkungsanteil von 90% war jedoch verfahrensfehlerhaft. Das Berufungsgericht ist nach dem Urteil des BGH vorschnell zu der Ansicht gelangt, der Mitwirkungsanteil von 90% stünde einer höheren Invaliditätsleistung entgegen.

Es lagen zwei Sachverständigengutachten vor, die erheblich voneinander abwichen. Das Berufungsgericht hätte von Amts wegen den Widersprüchen beider Gutachten nachgehen müssen. Hierzu der BGH:

„Im medizinischen Schrifttum werden deshalb insoweit nur Schätzungen mit groben Abstufungen für wissenschaftlich begründbar gehalten, auch im Hinblick auf die Beurteilung von Diabetes mellitus als mitwirkenden Faktor (vgl. Lehmann in Hierholzer/Ludolph, Das ärztliche Gutachten in der privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7, 1992, S. 51). Vor diesem Hintergrund hätte schon wegen der weit auseinander liegenden quantitativen Einschätzungen der beiden medizinischen Sachverständigen Anlass bestanden, den Gründen für diese unterschiedliche Bewertung von Amts wegen weiter nachzugehen, etwa durch eine Erörterung mit beiden Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung, wie sie auch der Kläger beantragt hatte; falls auch dadurch keine Klarheit geschaffen werden kann, durch Einholung eines Obergutachtens.“

Der BGH wies auf einen weiteren wichtigen Punkt hin: Der Versicherte zog sich zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt eine MRSA-Infektion zu. Beide Gutachten weichen gerade in der Beurteilung der Infektion für den Eintritt der Invalidität erheblich ab. Das erste Gutachten führte den negativen Heilungsverlauf in erster Linie auf die MRSA-Infektion zurück. In dem zweiten Gutachten findet diese Erkrankung hingegen keine Berücksichtigung. Der zweite Gutachter war nicht in der Lage, einen gesonderten Verursachungsquotienten für die Infektion anzugeben, sah es aber als denkbar an, dass es ohne die Infektion zu einem rascheren Heilungsverlauf gekommen wäre.

Das Berufungsgericht durfte daher das zweite Gutachten nicht ohne weiteres zur Grundlage seiner Entscheidung machen.

Anmerkung

Die Entscheidung weist auf zwei wichtige Punkte für Verfahren in der privaten Unfallversicherung hin.

Einerseits dar ein (Berufungs-)Gericht bei Vorliegen sich widersprechender Gutachten nicht einem Gutachten mit formelhaften Begründungen den Vorzug geben. Gerichte müssen Widersprüche aufklären und dürfen erst dann frei gewürdigt werden, wenn weitere Nachforschungen erfolglos geblieben sind.

Der Fall zeigt daneben, dass beim Zusammentreffen einer Diabetes-Erkrankung mit Verletzungen an Füßen oder Beinen und problematischen Heilungsverläufen nicht automatisch von einem hohen Mitwirkungsanteil der Diabetes-Erkrankung ausgegangen werden darf. Ebenso können Infektionen vorliegen, die Komplikationen mit ernsthaften Folgen verursachen und somit zu einer höheren Invaliditätsleistung führen.

Versicherte sollten sich daher immer an einen spezialisierten Rechtsanwalt für private Unfallversicherung oder einen Rechtsanwalt für Versicherungsrecht wenden, wenn ihre Unfallversicherung nicht zahlen will.

BGH zum Mitwirkungsanteil einer Diabetes-Vorerkrankung