Psychische Erkrankungen sind seit Jahren die Hauptursache für Berufsunfähigkeit. Depressionen nehmen in der Berufsunfähigkeitsversicherung dabei eine herausragende Rolle ein, sind aber häufig mit Ablehnungen verbunden.
Für Depressionen gelten die in der Berufsunfähigkeitsversicherung die gleichen Voraussetzungen wir bei allen anderen Krankheiten.
§ 172 Absatz 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) definiert die Berufsunfähigkeit wie folgt:
Berufsunfähig ist, wer seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall ganz oder teilweise voraussichtlich auf Dauer nicht mehr ausüben kann.
Den Grad der notwendigen Berufsunfähigkeit definieren Versicherungsbedingungen mit 50%. Hinsichtlich der Dauerhaftigkeit finden sich häufig Regelungen, die eine Prognose von 6 Monaten voraussetzen. Zusammengefasst stellen sich die Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit wegen Depression wie folgt dar:
Berufsunfähigkeit wegen Depression scheint in außerordentlich hoher Zahl von den Versicherern abgelehnt zu werden. Für die betroffenen Versicherten sind die Gründe oft schwer zu durchschauen. In vielen Fällen wird nicht einmal ein Gutachten zur Berufsunfähigkeit wegen Depressionen erstellt. Es erfolgt schlichtweg ein Hinweis, dass die Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
Die Gründe für die Ablehnung der Berufsunfähigkeitsversicherung bei Depression lassen sich daher an diesen Voraussetzungen festmachen. Auf die nachfolgend beschriebenen Punkte sollten Sie besonders achten, um nachzuvollziehen, warum die Berufsunfähigkeitsversicherung nicht zahlt.
Eine Depression ist eine Krankheit. Wissenschaftlich klassifiziert ist die psychische Störung in der ICD-10 als Depressive Episode unter den F32-Ziffern. Dies ist zunächst unproblematisch.
Einige BU-Versicherer behaupten gern, die Depression wäre ärztlich nicht nachgewiesen und lehnen dann ab. Tatsächlich ist der ärztliche Nachweis einer Erkrankung eine Voraussetzung, um eine BU-Rente beziehen zu können. Diese Voraussetzung leuchtet auch ein, denn nur ein Arzt kann eine Krankheit sicher diagnostizieren.
Auch die angeblich fehlende Mitwirkung bei Therapie oder Medikamenteneinnahme wird von Versicherern oft als Ablehnungsgrund genutzt. Dabei wird übersehen, dass schwer depressive Menschen oft gar nicht therapiefähig sind.
Achtung: Ein psychologischer Psychotherapeut kann Ihnen einen solchen Nachweis nicht erstellen, da diese Therapeuten keine approbierten Ärzte sind. Voraussetzung für den Beruf ist ein Psychologiestudium. Anders verhält es sich mit ärztlichen Psychotherapeuten, welche ein Medizinstudium und eine einschlägige Facharztausbildung absolviert haben. Diese Ärzte können eine zur Berufsunfähigkeit führende Depression nachweisen.
Einige Spezialisten unter den BU-Versicherern behaupten gern, Berufsunfähigkeit und Depression wäre nicht nachgewiesen. Mit solchen Behauptungen werden Versicherte regelmäßig getäuscht.
Beispielsweise hieß es in einem Kanzleifall in einer Ablehnung der Nürnberger Lebensversicherung in der Berufsunfähigkeit:
Bitte beachten Sie in diesem Zusammenhang auch, dass die gesundheitlichen Störungen, die der Versicherte in seinem Antrag auf Leistungen angibt, mit objektiven Methoden der Medizin nachgewiesen werden müssen.
Der Versicherte hatte mehrere Berichte unterschiedlicher Ärzte und seiner Psychotherapeutin eingereicht. Der Mandant brachte sogar auf eigene Kosten die Ergebnisse eines anerkannten Testverfahrens, dem Minnesota Multiphasic Personality Inventory – MMPI-2, bei. Die Nürnberger Berufsunfähigkeitsversicherung lehnte weiter pauschal ab. Auf Nachfrage, welche Methoden dies sein sollen, kam die Antwort, dass man dies auch nicht wisse. Der Versicherte steckt damit in der Sackgasse und kommt ohne spezialisierten Rechtsanwalt für Berufsunfähigkeitsversicherung in der Regel nicht mehr weiter.
Tatsächlich sind die Anforderungen an einen ärztlichen Nachweis nicht sehr hoch. Dieser muss sich nur auf die Erkrankung beziehen (nicht auf die Berufsunfähigkeit!) und kann sogar falsch sein. Im Grunde muss lediglich das Vorliegen einer Krankheit ärztlich bestätigt werden, um den Versicherer in die Lage zu versetzen, überhaupt den Leistungsfall prüfen zu können.
Keinesfalls müssen Sie Gutachten oder (sehr aufwendige) „objektive Methoden der Medizin“ einholen, um den BU-Versicherer zur Leistungsprüfung zu bewegen. Dies ist letzten Endes nur durch eine umfangreiche Begutachtung möglich.
In der Praxis stellt es sich als wichtig heraus, dass die konkreten Symptome einer Depression deutlich geschildert werden. In der Berufsunfähigkeitsversicherung sind vor allem die folgenden Symptome relevant:
Der Einwand des fehlenden ärztlichen Nachweises ist in der Regel unseriös und soll Versicherte zermürben, zur Aufgabe zwingen oder gar in einen Prozess treiben. Betroffene sollten daher sofort einen spezialisierten Rechtsanwalt für Berufsunfähigkeit zu Rate ziehen. Es macht keinen Sinn, mit dem Versicherer zu diskutieren oder gar auf eigene Kosten teure Gutachten einzuholen.
Weit häufiger und ernst zu nehmender ist es, wenn Ihnen der Versicherer schreibt, dass keine 50%ige Berufsunfähigkeit durch die Depression erreicht wurde. Dieser Nachweis ist in vielen Fällen tatsächlich nicht ganz einfach zu führen. Grundlage ist immer eine konkrete Tätigkeitsbeschreibung / Arbeitsbeschreibung. Aus dieser muss sich im Zusammenspiel mit den ärztlichen Diagnosen ergeben, dass der letzte Beruf zu über 50% nicht mehr ausgeübt werden kann.
Pauschale Aussagen lassen sich hierzu nicht treffen. Es gibt unzählige berufliche Tätigkeiten und die Symptome einer Depression können vielfältig sein. Jeder Fall ist individuell und nur mit viel Erfahrung in der Berufsunfähigkeitsversicherung lässt sich eine fundierte Darstellung der „50%“ erreichen.
Aber auch, wenn 50% Berufsunfähigkeit durch die Depression nicht erreicht wurden, können die Anspruchsvoraussetzungen gegeben sein. Bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit darf nicht nur auf den Zeitanteil einzelner Tätigkeiten abgestellt werden, wenn die Tätigkeiten untrennbarer Bestandteil eines beruflichen Gesamtvorganges sind. Dies entschied der Bundesgerichtshof in einem Urteil zur Berufsunfähigkeitsversicherung im Jahr 2017 (BGH, Urteil vom 19.7.2017, IV ZR 535/15).
In der Kanzlei wurde beispielsweise eine Pilotin betreut, die aufgrund der Depression starke Schlafprobleme hatte und Medikamente einnahm. Würde man ausschließlich die „50%-Regel“ ansetzen, hätte die Versicherungsnehmerin theoretisch noch fliegen können. Es leuchtet aber jedem ein, dass der Fliegerarzt ihr keine Flugtauglichkeit mehr bescheinigte. Oder wollen Sie in ein Flugzeug mit einem völlig übermüdeten Piloten steigen? Berufsunfähigkeit war in diesem Fall also gegeben.
Ein anderes Beispiel war ein Autoverkäufer, der in Stresssituationen zu Aggressionen neigte. So kam es im Umgang mit schwierigen Kunden wiederholt zu „Ausrastern“. Auch hier war der Mann berufsunfähig, da es kein Arbeitgeber riskieren kann, dass ein an Depressionen erkrankter Verkäufer möglicherweise schwierige Kunden anschreit.
Auch wenn der Grad der Berufsunfähigkeit von 50% nicht erreicht ist, kann trotzdem bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorliegen, wenn Kerntätigkeiten betroffen sind, die untrennbarer Bestandteil eines beruflichen Gesamtvorganges sind.
Ein weiteres Problem ist die Dauerhaftigkeit der Erkrankung. Versicherer lehnen Leistungen häufig ab mit dem Argument, die psychische Beeinträchtigung sei nicht dauerhaft. Da Depressionen meist episodisch verlaufen, kann die medizinische Prognose unsicher sein. Für die Anerkennung einer Berufsunfähigkeit ist entscheidend, ob auf absehbare Zeit eine Rückkehr in den Beruf realistisch ist – nicht, ob theoretisch irgendwann eine Heilung möglich wäre. Besonders relevant ist dabei auch, wie stark die Depression den konkreten Beruf beeinträchtigt. Wichtig ist hier vor allem eine ausführliche ärztliche und therapeutische Dokumentation der Erkrankung.
Depressionen stellen sich oftmals als sehr komplexe Erkrankung dar und sind in ihren Ursachen und Auswirkungen dementsprechend schwer zu diagnostizieren. Der Nachweis der Berufsunfähigkeit erfolgt daher durch ein psychiatrisch – nervenärztliches Gutachten. Das medizinische Gutachten soll klären, ob Sie aufgrund Ihrer depressiven Erkrankung dauerhaft nicht mehr in der Lage sind, Ihren zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben. Dabei wird geprüft, wie stark Ihre Symptome – etwa Antriebslosigkeit, Konzentrationsstörungen oder sozialer Rückzug – Ihre berufliche Tätigkeit beeinträchtigen. Wichtig ist: Es kommt nicht nur auf die Diagnose „Depression“ an, sondern auf die konkrete Auswirkung auf Ihre berufliche Leistungsfähigkeit.
Leider erleben viele Versicherte, dass Gutachten nicht objektiv oder unvollständig sind. Häufig werden depressive Erkrankungen bagatellisiert oder es fehlt eine fundierte Auseinandersetzung mit dem konkreten Berufsbild. Auch Standardformulierungen ohne individuelle Bewertung sind ein Warnsignal.
Beschwerdevalidierungstests (auch „Symptomvalidierungstests“) sind psychologische Testverfahren, die prüfen sollen, ob die berichteten kognitiven Einschränkungen – z. B. Konzentrationsstörungen oder Gedächtnisprobleme – realistisch sind. Beispiele sind der Test of Memory Malingering (TOMM) oder der Word Memory Test (WMT).
In BU-Gutachten werden solche Tests teils routinemäßig eingesetzt, insbesondere wenn eine psychische Erkrankung wie eine Depression als Ursache für die Berufsunfähigkeit angegeben wird. Die Testergebnisse fließen in die Beurteilung ein, ob die Beschwerden „konsistent“ und „plausibel“ sind.
Kritik und Gefahren
Das Problem: Diese Tests sind nicht unfehlbar. Falsch-positive Ergebnisse (d. h. ein unauffälliger Patient wird fälschlich der Simulation oder Aggravation verdächtigt) können die Ablehnung des BU-Antrags zur folge haben. Viele Tests werden außerdem in der Praxis nicht immer korrekt eingesetzt oder interpretiert.
Rechtliche Bewertung
Ein negativer Beschwerdevalidierungstest darf nie das alleinige Kriterium des Ergebnisses eines Gutachtens über die Depression als Ursache der Berufsunfähigkeit sein. Das Gesamtbild – ärztliche Befunde, Therapiehistorie, berufliche Anforderungen – ist entscheidend. Gutachten, die sich maßgeblich auf solche Tests stützen, sind in der Regel angreifbar.
Klinisch tätiger Arzt vs. „Gutachterinstitute“
In der Praxis stellen sich sogenannte Gutachterinstitute für die Versicherten nicht selten als Ärgernis heraus. Während klinisch tätige Psychiater einen hohen Erfahrungsschatz über die Schwere und den Verlauf von psychischen Erkrankungen mitbringen, arbeiten Gutachterinstitute nach standardisierten Leitlinien, setzen strukturierte Interviews, standardisierte Tests und Symptomvalidierungsverfahren ein. Die Gefahr: Menschliche Aspekte oder chronische Verläufe werden nicht immer ausreichend erfasst. Weitere Kritikpunkte sind regelmäßig die intransparenten Abhängigkeitsverhältnisse von Gutachtern zu Versicherern, die Kürze der Untersuchung, standardisierte Formulierungen und der Einsatz fragwürdiger Testverfahren.
Gutachten bei Berufsunfähigkeit aufgrund einer Depression sind eine hohe Hürde. Steht ein falsches Gutachten im Raum, können Sie dieses in der Regel nur noch in einem (teuren und langwierigen) Gerichtsverfahren entkräften. Sie sollten daher bereits bei Antragstellung einen Rechtsanwalt für Berufsunfähigkeit oder einen entsprechenden Dienstleister einbinden. Die Erfahrung zeigt, dass kompetente Beratung vor einer Antragstellung schneller und sicherer zum Erfolg bei der Durchsetzung der BU-Rente führt.
Ein weiteres häufiges Problem ist, wenn der Versicherer den Rücktritt oder die Anfechtung der Berufsunfähigkeitsversicherung erklärt. Hintergrund ist die sogenannte Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht. Beim Antrag auf die BU-Rente fordert der Versicherer regelmäßig sämtliche Behandlungsunterlagen von Ihren Ärzten ab. In den Patientenunterlagen finden sich im Zusammenhang mit Krankschreibungen immer wieder Diagnosen wie ein Belastungssyndrom, Schlaflosigkeit oder der Verdacht auf eine Depression. Oftmals wissen Sie von diesen Diagnosen nichts. War auf dem Versicherungsantrag dann die Frage nach psychischen Vorerkrankungen verneint, sieht der Versicherer einen Grund anzufechten.
Zusammenfassend lassen sich die folgenden Punkte zum Thema Berufsunfähigkeit und Depression zusammenfassen:
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