LG Münster, Urteil vom 08.04.2021, Aktenzeichen 115 O 150/20
Einen interessanten Fall aus der Berufsunfähigkeitsversicherung im Zusammenhang mit Covid-19 entschied das Landgericht Münster. Ein Mann hatte aus Angst vor eine Corona-Infektion seine berufliche Tätigkeit angestellt. Aber begründet die bloße „Angst vor Corona“ eine Berufsunfähigkeit? Oder doch?
zum Sachverhalt
Der Kläger verfügte über eine Berufsunfähigkeitsversicherung. In den Versicherungsbedingungen fand sich die übliche Regelung zu den Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit:
„(1) Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens sechs Monate ununterbrochen zu mindestens 50% außerstande sein wird, ihren zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, auszuüben.“
Der Kläger trug vor, dass er ab dem 27.02.2020 berufsunfähig gewesen sei.
Bei einer CT-Untersuchung am 24.03.2020 wurden beim Kläger Lungenrundherde bis ca. 1 cm Durchmesser festgestellt. In einem ärztlichen Aufklärungsgespräch wurde der Kläger über ein potenziell erhöhtes Risiko für einen komplikativen Verlauf im Falle einer SARS-CoV-2 Infektion informiert.
Im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Immobilienbesichtiger hatte der Kläger 5,5 Stunden seines achtstündigen Arbeitstages mit der Besichtigung von Gebäuden im Beisein der potentiellen Kunden verbracht.
Der Kläger behauptete nunmehr, diese Tätigkeit sei ihm aufgrund der diagnostizierten Lungenerkrankung und dem damit verbundenen erhöhten Risiko eines schweren Verlaufs einer Covid-19-Erkrankung nicht mehr möglich. Er sei auch bei Einhaltung aller ihm bekannten Vorsichtsmaßnahmen einem erhöhten Risiko bei Besichtigungen in geschlossenen Räumen mit Interessenten ausgesetzt.
Der Versicherer bestritt sowohl die vorgelegte Tätigkeitsbeschreibung als auch den Eintritt der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit.
Das Urteil des Landgerichts
Das Landgericht wies die Klage des Versicherungsnehmers ab. Dabei war das Vorliegen der Lungenerkrankung aber auch das Nichtvorliegen einer SARS-CoV-2-Infektion unstreitig.
Der Kläger hatte nicht vorgetragen, aus psychischen Gründen nicht mehr in der Lage gewesen zu sein, seine berufliche Tätigkeit weiter auszuüben. Vielmehr stellte er seine Tätigkeit lediglich vorsorglich ein.
Das Gericht schloss sich daher einer Ansicht in der Literatur an:
„Nach den Versicherungsbedingungen ist das bloße Risiko, wegen einer künftig möglicherweise eintretenden Krankheit berufsunfähig zu werden, nicht versichert. Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist nach ihrem Sinn und Zweck keine „Vorbeuge-Versicherung“ zur Erhaltung der beruflichen Leistungskraft.“
Die Richter wiesen ergänzend darauf hin, dass bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit auch dann vorliegen kann, wenn besondere Umstände eine Fortsetzung der Berufstätigkeit als unzumutbar erscheinen lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 11.07.2012, IV ZR 5/11). Dies könne beispielsweise der Fall sein, wenn ein Versicherter mit erhöhtem Risiko eines schweren Verlaufs einer Covid-19-Erkrankung in besonderem Umfang mit Covid-19-Erkrankten in Kontakt kommt (z.B. auf einer entsprechenden Station in einem Krankenhaus). Eine solche Situation lag hier aber nicht vor.
Anmerkung
Das Urteil wird im Ergebnis richtig sein. Eine Berufsunfähigkeitsversicherung kann nicht jedes Risiko absichern, wegen einer möglicherweise künftig eintretenden Erkrankung berufsunfähig zu werden.
Es lohnt sich aus Versicherungsnehmer-Sicht dennoch, sich die Erwägungen der Richter genauer anzusehen. Hätte die Entscheidung auch anders ausgehen können? Ich denke, womöglich schon.
Zu Recht sprechen die Richter an, der Kläger hatte zu psychischen Gründen nichts vorgetragen. Wieso eigentlich nicht? Der Kläger schien unter auffälligen übertriebenen Ängsten vor einer SARS-CoV-2-Infektion zu leiden. Den Weg zu einem Facharzt hatte der Kläger wohl nicht gefunden.
Sofern ein Facharzt für Psychiatrie eine Angststörung mit entsprechendem Krankheitswert diagnostiziert hätte, wäre der Fall womöglich zu Gunsten des Klägers ausgegangen. Ängste können eine Krankheit darstellen. Der ICD10 klassifiziert Angststörungen in den F41.0 ff.
Ein erfahrener Rechtsanwalt für Berufsunfähigkeitsversicherung hätte dem Mandanten raten müssen, sich mit seinen Ängsten einem Psychiater vorzustellen. Das Urteil wirkt tatsächlich so, als ob der Rechtsanwalt des Versicherungsnehmers den Sachverhalt mit seinem Mandanten nicht umfassend aufgeklärt hat. Ein Rechtsanwalt für Versicherungsrecht sollte dem Mandanten auch Ratschläge (wie den Besuch bei einem weiteren Facharzt) erteilen, die den Mandanten in die Lage versetzen, seine Ansprüche umfassend zu untermauern und unter Beweis zu stellen.
Versicherungsnehmern, die spürbar unter Ängsten leiden, die ihnen die Ausübung ihres Berufs erschweren oder gar unmöglich machen, sollten sich dringend mit diesen Problemen ihrem Hausarzt oder besser noch einem Facharzt für Psychiatrie vorstellen. Neben der kompetenten ärztlichen Behandlung von Angststörungen ist aus juristischer Sicht die ärztliche Dokumentation einer Erkrankung unerlässlich, um Ansprüche gegen einen Berufsunfähigkeitsversicherer durchzusetzen.