Unfallversicherung: Blutalkoholkonzentration unter 2,0 Promille ist nicht zwangsläufig eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung

Das OLG Dresden entschied über einen Fall aus der privaten Unfallversicherung, in dem es um einen Sturz nach Alkoholkonsum ging. Auch eine Blutalkoholkonzentration von 1,17 Promille erfüllt nicht zwangsläufig einen Ausschluss wegen einer Bewusstseinsstörung. Der Anspruch der Versicherten scheiterte trotzdem, da der Ehemann auf dem Fragebogen des Versicherten falsche Angaben gemacht hatte.

Oberlandesgericht Dresden: Beschluss vom 15.04.2024 – 4 U 2022/23

Zum Sachverhalt

Der Kläger unterhielt beim beklagten Versicherer eine private Unfallversicherung. Es war der folgende Ausschluss in Ziff. 5 der AUB 2000 vereinbart:

„5.1 Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle:

5.1.1 Unfälle der versicherten Person durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen …“

Die mitversicherte Ehefrau des Klägers stürzte am 02.05.2021 nach einer Familienfeier im häuslichen Umfeld. Der Notarzt hielt im Einsatzprotokoll fest, die Patientin habe eine „Synkope“ erlitten. Im Krankenhaus wurde eine Blutalkoholkonzentration von 1,17 Promille festgestellt.

Die Ehefrau erlitt infolge des Unfalls Wirbelbrüche und eine inkomplette Querschnittslähmung und machte eine Invaliditätsleistung auf Grundlage von 40% geltend.

Der Kläger zeigte den Schadensfall am 07.05.2021 und kreuzte auf der Schadensanzeige am 14.05.2021 auf die Fragen „Hat die verletzte Person in den letzten 24 Stunden vor dem Unfall Alkohol zu sich genommen?“ und „Wurde eine Blutprobe entnommen?“ jeweils das Kästchen „Nein“ an.

Auf dem Formular wurde außerdem über die Rechtsfolgen von Obliegenheitsverletzungen belehrt.

Der Versicherer wandte ein, es läge kein versichertes Sturzereignis vor. Es sei von einer alkoholbedingten Bewusstseinsstörung auszugehen.

Außerdem sei von einer Leistungsfreiheit auszugehen, da der Kläger beim Ausfüllen der Schadensanzeige zum Alkoholkonsum der Ehefrau arglistig getäuscht hätte.

Das erstinstanzliche Landgericht wies nach Anhörung des Klägers die Klage mit der Begründung ab, ihm falle eine arglistige Verletzung der Aufklärungspflichten zur Last, da er vorsätzlich falsche Angaben gemacht habe. Der Kläger legte gegen das Urteil Berufung ein.

Die Entscheidung des Gerichts

Das OLG Dresden erließ einen Hinweisbeschluss und kündigte die Zurückweisung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO an.

Der Senat nahm an, dass der Versicherungsschutz aufgrund des Alkoholkonsums ausgeschlossen war. Außerdem sei der Versicherer aufgrund einer arglistigen Obliegenheitsverletzung leistungsfrei.

Im Einzelnen:

Das Gericht ging zunächst davon aus, dass der Versicherer die Voraussetzungen eines Risikoausschlusses im Wege des Vollbeweises (§ 286 ZPO) zu beweisen habe.

Im Fall einer alkoholbedingten Bewusstseinsstörung ist dabei eine fallbezogene Betrachtungsweise unter Berücksichtigung der Gesamtumstände vorzunehmen. Selbst bei einer hohen Blutalkoholkonzentration (unterhalb von 2,0 Promille) lässt sich bei einem Sturz noch nicht automatisch auf eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung schließen.

Der Senat bejahte dennoch eine Bewusstseinsstörung und stellte hierbei auf die „Erstdiagnose“ „Synkope“ und einen Eintrag im Entlassungsbericht, die Versicherte sei „zusammengerutscht“.

Das OLG Dresden nahm außerdem eine arglistigen Obliegenheitspflichtverletzung an, die zu einem Leistungsausschluss nach Ziff. 8 AUB, § 28 Abs. 2, Abs. 3 S. 2 VVG führe.

Dabei nahmen die Richter des Senats an, der Kausalitätsgegenbeweis nach § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG sei dem Kläger nicht eröffnet, da er seine Obliegenheit arglistig verletzt hätte.

[Anmerkung: Selbst bei einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung kann der Versicherungsnehmer noch einen Anspruch auf die Versicherungsleistung haben, wenn er nachweist, dass die Verletzung nicht ursächlich für die Leistungspflicht ist. Bei Arglist gilt dies nicht.]

Liegen Falschangaben objektiv vor, muss der Versicherungsnehmer im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast eine plausible Erklärung vortragen, wie es hierzu gekommen ist (BGH, Beschluss vom 7.11.2007 – IV ZR 103/06; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 20.02.2013, 7 U 229/11).

Dem Versicherungsnehmer wurde vorgehalten, er könne sich nicht darauf berufen, dass er die Schadensanzeige mit seinem „Versicherungsvertreter“ ausgefüllt habe. Hier hatte er angegeben, er sei zum Zeitpunkt des Unfalls bereits im Bett gewesen und könne sich nicht erinnern.

Dem Kläger wurde vorgehalten, dass er verpflichtet gewesen wäre, sich bei der Ehefrau oder der beim Unfall anwesenden Tochter zu erkundigen oder die maßgebenden Umstände selbst zu ermitteln. Es hätte die Fragen nicht „ins Blaue hinein“ beantworten dürfen. Ihm hätte sich der Alkoholkonsum auch aufdrängen müssen, da ihm bekannt war, dass seine Frau im Rahmen von Familienfeiern Alkohol trinkt. Dies läge nahe, da zwischen Zu-Bett-Gehen und Unfall noch 3,5 Stunden gelegen hätten.

Die Arglist wird pauschal mit Verweis auf andere Entscheidungen (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2013 – IV ZR 122/13, Rn. 7; OLG Köln, Urteil vom 07. Februar 2012 – I-9 U 61/11) bejaht.

Anmerkung von Rechtsanwalt Stephan Schneider

Inwiefern die Entscheidung im Ergebnis richtig sein könnte, lässt sich schwer nachvollziehen. Die Pauschalität einiger Ausführungen und das Auslassen eigentlich gebotener Beweiserhebungen erscheint bemerkenswert.

Die Entscheidung zeigt aber, wie schnell einige Gerichte den Versicherungsnehmern Arglist unterstellen.

Zunächst ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass in der privaten Unfallversicherung bei Stürzen nach Alkoholkonsum die Leistungspflicht des Versicherers nicht automatisch ausgeschlossen ist. Dies gilt derzeit jedenfalls unterhalb der Schwelle von 2,0 Promille.

Der Versicherer muss regelmäßig beweisen, dass eine Bewusstseinsstörung vorliegt. Ist die verunfallte Person beispielsweise trinkgewohnt und mit über 1,0 Promille noch in der Lage, sich sicher im Haushalt zu bewegen, liegt nicht automatisch eine Bewusstseinsstörung vor. In einer von der Kanzlei betreuten Fall könnte in einer solchen Situation bereits außergerichtlich eine zufriedenstellende Lösung erzielt werden.

Dem Versicherer kann ein solcher Beweis schlechterdings nur durch ein Sachverständigengutachten gelingen. Das OLG Dresden überschreitet hier seine Sachkunde, indem es eigene Erwägungen anstellt, die sich gar im Bereich von Vermutungen bewegen.

Problematisch sind immer Falschangaben bei der Schadensanzeige. Nach dem geschilderten Fall kann man darauf schließen, dass der Versicherungsnehmer die Angaben „ins Blaue hinein“ gemacht hat. Ein Fall von bedingtem Vorsatz erscheint hier durchaus gegeben. Zumindest wird dem Kläger nicht ganz fern gelegen haben, dass die Ehefrau (weiter) getrunken hatte. Das Motto „Es wird schon gut gehen.“ ist im Versicherungsrecht immer ein schlechter Rat.

Die Annahme von Arglist durch das OLG Dresden ist pauschal, steht aber leider in einer traurigen Tradition vieler Spruchkammern im Versicherungsrecht. Es wird zum Beispiel nicht der Frage nachgegangen, dass der Kläger ja alle medizinische Unterlagen beigebracht haben wird und wohl auch mit Sicherheit davon ausging, dass Versicherer diese prüft. 

Fragen wirft die Entscheidung außerdem auf, wenn das Gericht vom „Versicherungsvertreter“ spricht. Ein Versicherungsvertreter wird als „Auge und Ohr“ des Versicherers angesehen (§ 70 VVG). Gibt der Versicherungsnehmer gegenüber dem Versicherungsvertreter an, er wisse einen bestimmten Umstand nicht und macht der Vertreter ein Kreuz an der falschen Stelle, ist dies dem Versicherer zuzurechnen.

Alles in allem eine sehr unschöne Entscheidung.

 

Unfallversicherung: Blutalkoholkonzentration unter 2 Promille ist keine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung