Erfolg! Eine von der HanseMerkur erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung eines Versicherungsvertrags in der privaten Krankenversicherung konnte durch die Kanzlei abgewendet werden.
Die HanseMerkur und die Anfechtung „ins Blaue hinein“
Anfechtung und Rücktritt aufgrund vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzungen stellen in der privaten Krankenversicherung und in der Berufsunfähigkeitsversicherung relativ häufige und für den Versicherungsnehmer schwerwiegende Angelegenheiten dar. Die Folgen des wegfallenden Versicherungsschutzes und eventueller Rückzahlungen können sich dramatisch darstellen.
Die HanserMerkur ist der Kanzlei wiederholt dadurch aufgefallen, dass Anfechtungen „ins Blaue hinein“ erklärt wurden. Es lohnt daher, sich ein Urteil des Oberlandesgerichts Dresden anzuschauen, in dem die HanseMerkur scheiterte. Der Versicherer nahm eine winzige Ungenauigkeit in einem Arztbericht zum Anlass, den Versicherungsvertrag durch Anfechtung und Rücktritt zu beenden.
Auffällig ist, dass die HanseMerkur sich nicht die Mühe machte, die Angelegenheit seriös aufzuklären, sondern recht pauschal behauptete, der Mandant hätte arglistig getäuscht. Der Versicherer erklärte die Anfechtung schlichtweg „ins Blaue hinein“.
OLG Dresden, Urteil vom 10.04.2018, Az. 6 U 1397/17
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 01.09.2017, Az. 1 O 300/16, aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass der bei der Beklagten unterhaltene Krankenversicherungsvertrag des Klägers mit der Versicherungsscheinnummer 504 / 081 656 309 A 00016 bis zum 27.10.2016 Fortbestand und nicht durch Anfechtung oder Rücktritt seitens der Beklagten beendet wurde.
III. Die in beiden Instanzen angefallenen Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich des Kostenausspruchs vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Gebührenstreitwert wird für beide Instanzen auf 4.730,94 festgesetzt.
Gründe
I.
Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a ZPO abgesehen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Der zwischen den Parteien geschlossene Krankenversicherungsvertrag ist bis zum Wegzug des Klägers ins Ausland weder durch die von der Beklagten erklärten Anfechtung des Vertrages gemäß § 22 VVG i.V.m. § 123 BGB, noch durch deren Rücktrittserklärung nach § 119 Abs. 2 VVG beendet worden.
1.
Soweit das Landgericht bei der Feststellung des Vorliegens einer arglistigen Täuschung davon ausgegangen ist, dass wegen Beweisvereitelung durch den Kläger eine Beweislastumkehr zum Tragen komme, hält das Urteil der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Zweifelhaft ist bereits die durch das Landgericht seiner Auffassung zu Grunde gelegte Annahme, dass zur Klärung der streitentscheidenden Frage, ob der Kläger bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen der Beklagten in dem Antrag vom 26.09.2011 unrichtige Angaben gemacht habe, dessen persönliche Untersuchung erforderlich sei. Es ist nämlich nicht ersichtlich, zu welchem Erkenntnisgewinn eine solche Untersuchung des derzeitigen Gesundheitszustands des Klägers im vorliegenden Zusammenhang führen sollte.
Selbst wenn man jedoch die Erforderlichkeit einer persönlichen Untersuchung des Klägers zur Einholung des von der Beklagten angebotenen Sachverständigenbeweises unterstellte, fehlte es jedenfalls an einer Beweisvereitelung durch den Kläger. Das Landgericht hat zu keinem Zeitpunkt die Begutachtung des Klägers durch einen Sachverständigen angeordnet. Allein der Umstand, dass sich der Kläger zu der Verfügung des Gerichts vom 09.01.2017, mit der die Ruhendstellung des Verfahrens angeregt worden war, nicht geäußert hat, lässt keinen Schluss auf die fehlende Bereitschaft des Klägers zu, sich persönlich untersuchen zu lassen. Nachdem bereits die Beklagte mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 21.02.2017 mitgeteilt hatte, keinen Grund für das Ruhen des Verfahrens zu sehen, bestand für die Klägerseite jedenfalls keine zwingende Veranlassung, zur Anregung des Gerichts noch Stellung zu nehmen. Allein der Umstand, dass das Landgericht in der vorgenannten Verfügung in Zusammenhang mit der Begründung seiner Anregung, das Verfahren ruhen zu stellen, darauf hingewiesen hatte, dass sich der Kläger für eine Begutachtung zur Verfügung halten müsse, lässt nicht darauf schließen, dass der Kläger einer entsprechenden Beweisanordnung keine Folge geleistet hätte.
Es verbleibt daher bei der Darlegung- und Beweislast der Beklagten für das Vorliegen einer die Anfechtung rechtfertigenden Täuschungshandlung des Klägers.
2.
in Anbetracht dessen, dass es sich bei der Verkennung der Beweislast um die Verletzung materiellen Rechts handelt, war durch das Berufungsgericht unter Berücksichtigung auch des vom Gericht erster Instanz übergangenen Sachvortrags der Parteien sowie Durchführung der erforderlichen Beweisaufnahme zu klären, ob der Kläger die Beklagte bei Antragstellung über das Bestehen von Vorerkrankungen oder zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgte ärztliche Behandlungen getäuscht hat (vgl. Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 529 Rdn. 2b).
Im Ergebnis der durch den Senat durchgeführten Beweisaufnahme, der die Dres. S. Als Zeugen vernommen und zudem den Kläger Informator rasch angehört hat, bestehen keinerlei Anhaltspunkte für eine Täuschungshandlung des Klägers.
Die Beklagte hatte die mit Schreiben vom 24.09.2015 (Anlage K 8) gegenüber dem Kläger erklärte Anfechtung damit begründet, dass sie „erst jetzt von folgenden wichtigen Umständen erfahren“ habe:
„Aus den vorliegenden Unterlagen geht hervor, dass sie sich bereits vor Antragstellung in kontinuierlicher hausärztlicher Betreuung der Drs. Med. S. Befanden wegen Erkrankungen des Bewegungsapparates, die durch ihre Chronik zitiert und Intensität als schwerwiegend zu bezeichnen wurden. Es fanden regelmäßige ärztliche Vorstellungen sowie Therapien statt. Hierüber haben sie im Versicherungsantrag keine Angaben gemacht, obwohl hierzu von uns ausdrücklich Fragen gestellt wurden. Wären uns diese Informationen bei Antragstellung bekannt gewesen, hätten wir diesen nicht annehmen können.“
Diese von ihr behauptete Anfechtungsbegründung hat die Beklagte nicht nachzuweisen vermocht. Die Beweisaufnahme hat vielmehr ergeben dass sich der Kläger vor der von ihm angegebenen Erstbehandlung am 12.10.2011 nicht bei den Dres. S. In ärztlicher Behandlung befunden hatte und dass die in der Anfechtungserklärung gemachten Erkrankungen des Bewegungsapparates beim Kläger im Zeitpunkt der Stellung des Versicherungsantrags am 26.09.2011 noch nicht vorlagen.
a) die Beklagte stützt ihre Behauptung, dass sich der Kläger bereits vor Antragstellung in kontinuierlicher ärztlicher Behandlung bei den Dres. S. Befunden habe, auf deren Schreiben vom 29.09.2014 (Anlage K 5), in dem es heißt, dass sich der Kläger „seit über drei Jahren in unserer kontinuierlichen hausärztlichen Betreuung“ befinde. Der Kläger hatte die vorgenannte Behauptung der Beklagten substantiiert bestritten, in dem er dargelegt hat, dass seine Erstbehandlung bei den Dres. S. Am 12.10.2011 stattgefunden habe. Insoweit bezieht er sich auf mehrere Schreiben der Dres. S., in dem dieses Datum als Behandlungsbeginn genannt wird (Schreiben vom 07.12.2011, Anlage K 14 vom 26.04.2015, Anlage K 4, und vom 14.02.2017, Anlage K 13).
Mit diesem Vorbringen des Klägers hat sich die Beklagte nicht hinreichend substantiiert auseinandergesetzt. Sie hat nicht ansatzweise plausibel dargelegt, was die Annahme rechtfertigen könnte, die Dres. S. Hätten in den drei vorgenannten Schreiben den dort genannten Behandlungsbeginn am 12.10.2011 unzutreffend mitgeteilt. Vielmehr lag es von vornherein nahe, dass lediglich das Schreiben der Dres. S. vom 29.09.2014 (Anlage K 5) insoweit unpräzise abgefasst sein könnte, als dort eine Behandlungsdauer von „über drei Jahren“ angegeben ist, während zwischen dem in den anderen Schreiben benannten Erstbehandlungstermin vom 12.10.2011 und dem Datum des von der Beklagten ins Feld geführten Schreibens vom 29.09.2014 erst knapp drei Jahre vergangen waren. Mit dem vom Kläger vorgebrachten Einwand, dass insoweit eine bloße Ungenauigkeit der Dres. S. Vorliege, hat sich die Beklagte überhaupt nicht auseinandergesetzt, sondern war vielmehr weiterhin „ins Blaue hinein“ behauptet, der Kläger habe sich bereits vor dem 12.10.2011 in kontinuierlicher ärztlicher Behandlung der Dres. S. Befunden.
[…]b) Auch soweit die Beklagte die von ihr behauptete Täuschungshandlung des Klägers darauf stützt, dass dieser bei der Antragstellung die in der Anfechtungserklärung aufgeführten Vorerkrankungen des Bewegungsapparates nicht mitgeteilt habe, hat die Beweisaufnahme das seinerseitige Vorliegen solcher Erkrankungen nicht bestätigt.
Insbesondere hat Frau Dr. S. Als Zeugen glaubhaft bekundet, dass der Kläger am 12.10.2011 nicht wegen akuter Rückenbeschwerden vorstellig geworden sei, sondern zu einer Ganzkörperstatusuntersuchung. Diese Angabe ist insbesondere im Hinblick darauf glaubhaft, dass die Zeugen eingangs ihrer Vernehmung zunächst gemutmaßt hatte, der Kläger sei wegen Rückenbeschwerden in die Praxis gekommen („so meine ich“), nach Vorlage der Tagesprotokolle (Anlage K 15) ihre Aussage mit dem Hinweis, sich „jetzt ganz deutlich“ erinnern zu können, dahingehend korrigiert hat, dass der Grund für einen Praxisbesuch des Klägers lediglich die von ihm gewünschte komplette Untersuchung, nicht hingegen Rückenbeschwerden gewesen sei. Bei der Erstuntersuchung am 12.10.2011 seien bei dem Kläger Knick-Spreiz-Füße und eine Statikveränderung sowie eine verspannte Muskulatur festgestellt worden, weshalb in der Folge Akupunktur durchgeführt worden sei. Dazu hat die Zeugin erläutert, es komme häufig vor, dass ein Patient komme und nichts habe, sich bei der Untersuchung dann aber doch Beschwerden ergeben würden. Die Aussage der Zeugin Dr. S. Steht insoweit im Einklang mit den Angaben des Klägers, der sinngemäß geschildert hat, den Untersuchungstermin am 12.10.2011 nicht wegen konkreter Beschwerden vereinbart zu haben, sondern um sich in Anbetracht seines neuen Status als Privatpatient einmal insgesamt untersuchen zu lassen. Er erinnere sich noch – so der Kläger, dass beim ersten Behandlungstermin Frau Dr. S vor ihm gekniet, zu ihm hochgeschaut und bemerkt hätte, dass er Knick-Senk-Spreizfüße habe. Beschwerden habe er insoweit allerdings nie gehabt.
Auch aus der als Anlage B 1 vorgelegten Rechnung der Dres. S vom 12.12.2011 lässt sich nicht schließen, dass es sich bei den darin genannten Diagnosen, u.a. zervikozephales Syndrom, Zervikobrachial-Syndrom und Zervikalneuralgie, um Vorerkrankungen des Klägers handele, die bereits bei Beantragung des Versicherungsvertrages vorgelegen hätten und überdies den Kläger zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen seien. Vielmehr hat Frau Dr. S als Zeugen nach Vorlage der Tagesprotokolle (Anlage K 5) erläutert, dass die Rückenbeschwerden beim Kläger tatsächlich erst am 12.12.2011 diagnostiziert worden seien. Zu den vorgenannten Diagnosen aus der Rechnung vom 12.12.2011 hat sie bekundet dass es sich dabei erst im Zeitpunkt des Rechnungsdatums um gesichert gestellte Diagnosen gehandelt habe.
Ausgehend von den vorstehenden glaubhaften Angaben der Zeugin Dr. S. Kam die von der Beklagten mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 26.01.2018 beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht in Betracht, weil die darin genannten Anknüpfungstatsachen im Rahmen der durchgeführten Beweisaufnahme gerade nicht bestätigt worden sind. So wird in dem Beweisantrag davon ausgegangen, dass die dort aufgeführten Erkrankungen der Hals- und Lendenwirbelsäule bereits zum Zeitpunkt der Erstkonsultation am 12.10.2011 vorgelegen hätten und dass für den Kläger damit Bewegungseinschränkungen und Schmerzen verbunden gewesen seien. Das wurde aber durch die Einvernahme der Zeugen widerlegt.
Als haltlos erwiesen hat sich im Übrigen auch die Mutmaßung des Landgerichts, inoffiziell spreche für eine Wirbelsäulenvorerkrankung des Klägers, dass dieser durch die Dres. S. Nicht mittels bildgebende Verfahren untersucht worden sei, mithin bereits zuvor entsprechende Untersuchungen durchgeführt worden sein müssten. Insoweit hat Frau Dr. S. Als Zeugin erläutert, dass es für die diagnostizierten der durch sie beim Kläger festgestellten Erkrankungen des Bewegungsapparates keiner bildgebenden Verfahren bedurft habe. Hierfür habe keine Indikation bestanden. Vielmehr ließen sich degenerative Veränderungen auch ohne bildgebende Verfahren feststellen.
3.
Auch der durch die Beklagte mit Schreiben vom 24.09.2015 (Anlage K 4) hilfsweise erklärten Rücktritt vom Versicherungsvertrag gemäß § 19 Abs. 22 VVG hat nicht dessen Aufhebung zur Folge. Der Rücktritt ist vielmehr unwirksam. Es liegt kein Rücktrittsgrund nach § 19 Abs. 1 VVG vor, weil der Kläger seine vorvertragliche Anzeigepflicht i.S.d. § 19 Abs. 1 VVG nicht verletzt hat. In Anbetracht dessen, dass die Beklagte die vermeintliche Anzeigepflichtverletzung des Klägers auf die gleichen Umstände stützt, mit denen sie bereits die von ihr erklärte Anfechtung begründet hatte, gelten die obigen Ausführungen zum fehlenden Nachweis eines Anfechtungsgrundes entsprechend.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO. Soweit der Kläger in erster Instanz den Feststellungsantrag zunächst zeitlich unbefristet gestellt hatte, wirkt sich die nachträgliche Begrenzung auf den Zeitraum bis zum Simon 20.10.2016, in der eine Beschränkung des Klageantrags nach § 264 Nr. 2 ZPO und damit zugleich eine teilweise Klagerücknahme liegt (vgl. Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 264 Rdn. 4a), auf die Kostenentscheidung in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht aus. Durch den ursprünglichen Antrag sind keine höheren Kosten veranlasst worden, weil dessen Beschränkung kein Einfluss auf den Gebührenstreitwert hat (zu dessen Berechnung nachfolgend). Zudem ist das maßgebliche Begehren, nämlich die Feststellung, dass der Krankenversicherungsvertrag nicht durch Anfechtung oder Rücktritt der Beklagten beendet wurde, von der Änderung des Antrags nicht berührt worden.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO i.V.m § 26 Nr. 8 EGZPO und zwar auf den Kostenausspruch zu beschränken (vgl. Zöller, a.a.O., § 708 Rdn. 13).
Die Revision war nicht zuzulassen, da Revisionsgründe i.S.v. § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
Der Gebührenstreitwert war gemäß §§ 3, 9 ZPO i.V.m. § 48 Abs. GKG nach dem 3 ½-fachen Wert des Jahresbetrags der vereinbarten Versicherungsprämie abzüglich 20 Prozent zu bemessen (vgl. BGH Beschluss vom 09.11.2011, IV ZR 37/11, juris; Zöller, a.a.O., § 3 Rdn. 16, Stichwort „Versicherungsschutz“) und beträgt daher 4.738,94 € (141,04 € x 12 x 3,5 = 5.923,68 €, abzüglich 20 %, d.h. 1.184,74 €). In Anbetracht dessen, dass sich der Kläger nicht verbindlich dazu erklärt hat, ob er dennoch Leistungsansprüche gegenüber der Beklagten im Hinblick auf die nicht beglichene Rechnung über 8.818,37 € geltend machen wird, war davon abzusehen, die Hälfte des vorgenannten Betrages Streitwert erhöhen zu berücksichtigen (zu dieser Möglichkeit bei bereits rechtshängiger oder zumindest angekündigter Geltendmachung: BGH a.a.O.).
Vielen Dank für Ihre Unterstützung und die Veröffentlichung meines Falls, Herr Schneider. Ohne Sie hätte ich den Kampf gegen die HanseMerkur nie gewonnen!